Künstliche Intelligenz im Employer Branding & Recruiting – eine Dystopie


Künstliche Intelligenz im Employer Branding & Recruiting – das Thema scheint allgegenwärtig.

Keine Ahnung, ob es Dir auch so geht beim Lesen diverser Blogs und Studien und bei der Auseinandersetzung mit all den Anbietern, die über das Thema KI Ihre Apps, Plattformen, Datenbanken oder sonstigen Lösungen verkaufen wollen. Künstliche Intelligenz verändert (anscheinend) alles. Algorithmen sind die besseren Recruiter – so wird es heute schon oft propagiert. Wie könnte die Welt für Employer Branding & Recruiting in zehn Jahren aussehen? – Ein Denkversuch:

Du kannst jetzt weiterlesen oder aber hier den Podcast zu dieser Story anhören:

Die Ausgangssituation: Künstliche Intelligenz hat alles verändert

Deutschland im Jahr 2029. Nach den Jahrzehnten der Arbeitgebermärkte seit dem Wirtschaftswunder Ender der 1950er Jahre bis 2014 und dem Jahrzehnt des Arbeitnehmermarktes von 2015 bis 2025 werden die Schlagzeilen der individualisierten Textrobots von zwei Themen beherrscht: einerseits haben wir einen eklatanten Fachkräftemangel und andererseits eine noch nie dagewesene Massenarbeitslosigkeit.

Der Arbeitsmarkt hat sich aufgrund der Digitalisierung und grenzenlosen Technikvorherrschaft in diese beiden Richtungen verändert und in beide Richtungen radikalisiert. Alles, was digitalisiert werden konnte, wurde digitalisiert. In erster Linie von amerikanischen und chinesischen Digitalunternehmen, die als Oligopol die Weltwirtschaft beherrschen. Die meisten der großen ehemals deutschen Industrieunternehmen gehören diesem Oligopol inzwischen an – entweder direkt durch Aufkäufe oder indirekt durch fundamentale Technologieabhängigkeit. Der deutsche Mittelstand – ehemals Rückgrat der deutschen Wirtschaft – steht ebenfalls in dieser radikalen Technologieabhängigkeit und die Anzahl der familiengeführten Mittelstandsunternehmen ist drastisch gesunken, denn eine große Anzahl von Mittelstandsunternehmen hat es in den Jahren ab 2019 nicht mehr geschafft, Fachkräfte in ausreichender Qualität und Quantität und zu rekrutieren. Die Eigner haben dann entweder im letzten Moment noch verkaufen können oder aber sind insolvent gegangen. Aufgrund der immensen Bedeutung von Technologie steigt auch bei den verbleibenden Unternehmen die Abhängigkeit vom Digital-Oligopol dramatisch.

Die digitale Transformation von Produkten, Prozessen und Unternehmen führte dazu, dass immer mehr Menschen arbeitslos wurden. Insbesondere Menschen mit vergleichsweise unkomplexen oder wenig von menschlicher Empathie abhängigen Berufen wurden ab 2019 in stetig steigender Zahl freigesetzt – seit 2021 abgefedert durch das Grundeinkommen, dessen Einführung parteiübergreifend als notwendig angesehen wurde, um den sozialen Frieden sicherzustellen. Ganze Berufszweite wurden durch die Digitalisierung radikal verändert: angefangen mit Banken und Versicherungen, dann in den Bereichen Logistik, Lagerhaltung, Handel, Rechtsprechung und im medizinischen Bereich wurden Berufsbilder wie Bankangestellte, Versicherungsberater, LKW Fahrer, Verkäufer, Juristen, oder Ärzte nach und nach überflüssig. Deren Arbeit wird heute durch Computer und Roboter mit künstlicher Intelligenz erledigt. Leider ließen sich nicht sämtliche der Beschäftigten in diesen Berufsfeldern umschulen, so dass sie für all die neuen, durch die Digitalisierung entstandenen Berufsfelder einsatzfähig wären. Da in Deutschland sehr viele Menschen in diesen Berufsfeldern gearbeitet haben, ist eine neue, in der Höhe bislang unbekannte Massenarbeitslosigkeit entstanden, die aber durch das Grundeinkommen abgefedert wird.

Auf der anderen Seite gibt es einen eklatanten Fachkräftemangel, der sich auf Menschen bezieht, die entweder im digitalen Kontext herausragende Fachkenntnisse mitbringen oder Berufsfelder bekleiden, die in ganz besonderem Maße von menschlicher Empathie abhängigen (wie beispielsweise Pflegekräfte oder Krankenpfleger) beziehungsweise von hoher Kreativität geprägt sind (künstlerischer Bereich und Erstellung kreativer Produktions- und Beratungsleistungen).

Diese Menschen können sich ihre Jobs aussuchen und arbeiten meistenteils nicht mehr in direkten Angestelltenverhältnissen sondern eher projektbezogen. Da sich der Fachkräftemangel in diesen Bereichen zunehmend radikalisiert hat, gibt es Manager, die sich – ähnlich wie 2019 im Sport – um Buchungen, Transfers und Benefits dieser raren Experten kümmern.

Was bedeutet künstliche Intelligenz für Employer Branding und Recruiting im Jahr 2029?

Im Employer Branding kommt es mehr denn je darauf an, die richtigen Personen auf die richtigen – individuell am besten passendsten – Jobs (nicht zwingend Arbeitgeber, denn davon gibt es durch die Oligopolverschiebung ja immer weniger) aufmerksam zu machen. Wir sprechen daher nicht mehr von Employer Branding, sondern von Opportunity Branding.

Wir denken nicht mehr in Zielgruppen, sondern nur noch in Individuen. Es gibt einen Transfermarkt, der zunächst auf die offenen Jobs aufmerksam gemacht werden muss. Diese Jobs müssen entsprechend vermarktet werden. Wir sprechen daher im Jahr 2029 weniger von Employer Branding, mehr von Opportunity Branding. Aber ähnlich wie früher beim Employer Branding müssen wir deutlich machen, warum sich ein digitaler Experte ausgerechnet für diese eine Opportunity einsetzen sollte. Was ist der Sinn dahinter, warum sollte man seine wertvolle Arbeitszeit ausgerechnet für diese Opportunity und nicht für eine andere einsetzen? – Die Sinnebene und die Entwicklung authentischer Stories um diese Opportunity herum ist nach wie vor bedeutsam. Im Opportunity Branding ist das auch der Prozess, in dem künstliche Intelligenz „nur“ mithilft, aber nicht komplett umsetzt. Es gibt immer noch Strategie-, Konzeptions- und Kreativjobs, die mithilfe von künstlicher Intelligenz und cleveren Algorithmen die für den jeweiligen potenziellen Arbeitnehmer bestmöglich, also individuell passende Story entwickeln. Die Ausspielung dieser Stories über die besten – also individuell bestmöglich passenden Mediakanäle erfolgt natürlich komplett automatisiert und wird kontinuierlich optimiert.

Im Recruiting läuft der Prozess nahezu vollständig automatisiert über KI getriebene Tools und Prozesse – die Candidate Experience ist in nahtlosem Anschluss an das Opportunity Branding vollindividualisiert und abhängig davon, über welche Kanäle ich die Kandidaten in den Recruitingprozess bekomme. Das Matching erfolgt ohne jegliches menschliches Zutun in sekundenschnelle. Die Bereitstellung von Fakten zur Opportunity wie individualisiert optimierte Benefits, Gehalt, Dauer des Opportunity Einsatzes – dies alles wird komplett automatisiert gesteuert. Da es zu wenig Fachexperten gibt, erfolgt dann in einem weiteren Schritt die durch den Kandidaten gesteuerte Auktion:

die Arbeitgeber bzw Opportunity-Inhaber mit den drei bestmöglich individuell passenden Angeboten werden priorisiert und im Zweifelsfall kann der Kandidat nun Recruiting-Interviews bei den verbliebenen Opportunity-Inhabern (ehemals Arbeitgebern) einstellen. Die Aufgabe menschlicher Recruiter ist es im Jahre 2029 ausschließlich, diese Gespräche zu führen. Es hat sich nicht als erfolgversprechend herausgestellt, auch diesen Prozess durch künstliche Intelligenz abwickeln zu lassen, da die Kandidaten erwarten, mit echten Menschen zu sprechen, um dann auf Basis dieses Gesprächs zu entscheiden, zu welchem Opportunity-Inhaber sie für das nächste Projekt gehen.

Insofern ist die Bedeutung von Employer Branding (bzw dann Opportunity) und Recruiting immens gestiegen – allerdings nur noch für eine relativ kleine Gruppe von Kandidaten, die hoch kompetitiv und extrem individualisiert durch KI Prozesse gestützt umworben wird. Die Anzahl der in den Berufsfeldern Employer Branding und Recruiting beschäftigten Personen ist dagegen drastisch gesunken.

So oder ähnlich könnte sich das alles entwickeln. Aber das wäre – wie in der Überschrift zu sehen – eine Dystopie. Wir können ja heute alle nur mutmaßen, was 2029 ist. Ich wünsche uns allen, dass es etwas anders kommt und wir Technologie als unterstützenden Begleiter des Menschen verstehen. Und nicht umgekehrt. Was ist Deine Meinung dazu?

 

Übrigens: auf dem #RC19 Festival ist KÜNSTLICHE INTELLIGENZ das Schwerpunkt-Thema. Unter dem Motto „Me, myself & I“ nähern wir uns dem Thema aus verschiedenen Perspektiven, beispielsweise mit folgenden Programmpunkten:

  • Wie verändert KI den Arbeitsalltag: In unserer von „Wissen macht Ah!“-Experte Ralph Caspers moderiertem Talk diskutieren die Robo-Psychologin Prof. Dr. Martina Mara und der Cyborg und Bodyhacker Dr. Patrick Kramer über Chancen, Risiken, Möglichkeiten und Grenzen des Einsatzes von KI in der Arbeitswelt
  • Mensch vs Maschine: wer ist der bessere Recruiter: In unserem Panel mit u.a. Bernd Schmitz von Bayer, Dr. Philip Eisenhardt von ThyssenKrupp und Andreas Welsch von der TU Darmstadt diskutieren wir exklusiv die Ergebnisse einer wissenschaftlichen Studie, in der menschliche Recruiter gegen maschinenbasierte Algorithmen angetreten sind – in echten Recruitingfällen.
  • AI and the Future of Recruitment: In seiner Keynote erläutert Textkernel Gründer Jakub Zarvel, wie KI das Recruiting in nächster Zukunft grundlegend verändern wird. Welche neuen Ansätze durch modernste Technologie möglich sind und was das für uns bedeutet…ein Blick in die Zukunft.
  • TECHWALK: Im Techwalk stellen sich die spannendsten neuen HR Startups in den Themenfeldern Employer Branding, Personalmarketing und Recruiting vor. Logisch, dass KI hier auch eine fundamentale Rolle spielen wird.

Das vollständige Programm des #RC19 Festivals findest du hier.

Gero Hesse

Ich bin Gero Hesse, Macher, Berater und Blogger in den Themenfeldern Employer Branding, Personalmarketing, Recruiting, Social Media und New Work. Mehr Infos über Gero Hesse.

7 Gedanken zu „Künstliche Intelligenz im Employer Branding & Recruiting – eine Dystopie

  • Pingback: Der #RC19 Festival Rückblick: Sonne, Recruiting & Bambule! - saatkorn.

  • 7. Mai 2019 um 08:45
    Permalink

    Schön geschrieben, es ist wichtig, nachzudenken und auch ein wenig zu debattieren, um die Stärken und Schwächen des Bestehenden wirklich zu verinnerlichen und gleichermaßen die umwobene Begrifflichkeit „KI“, die ebensowenig definiert ist wie die Intelligenz selbst, zu greifen zu beginnen.
    Im heutigen Alltag ist KI eigentlich nur algorithmisches Abarbeiten mit Machine Learning. Interessante Bots kommen dazu. Grade im Recruiting ist noch nicht viel automatisiert und was Textkernel, Vonq oder Wollmilchsau im Hintergrund laufen haben, ist ja noch von Mysterien umrankt 😉
    Viele Grüße
    Clemens

    Antwort
    • 29. Januar 2020 um 11:52
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      Hallo Gero. Na, da malst Du ja ein düsteres Bild. Hoffe und glaube, dass es sich nicht ganz so entwickeln wird.

      „Technikdominanz“: klar. Aber mit Sicherheit global nicht so schnell. Wer einmal in Afrika und Südamerika rumgereist ist, wird ahnen, wie viel Zeit der Switch dort benötigt. Und auch in D wird viel geredet, ist das Etablieren digitaler Prozesse noch längst nicht überall angekommen. So lange es noch so viele Faxgeräte gibt, die im Einsatz sind, mache ich mir um Massenarbeitslosigkeit keine Gedanken …

      „Fachkenntnis Kreativität bleibt vom Technikboom verschont“: Da ist wohl eher der Wunsch Vater des Gedankens. Denn bereits heute ist es ja möglich, mit Hilfe von KI-Methoden Kreativität nicht bloß zu simulieren, sondern zu produzieren (Stichwort: Rembrandt, Harry Potter, Schach, predictive Content …). In solchen technikaffinen (Kreativ-) Branchen, wie z. B. der Medien- und Kommunikationsindustrie, werden KI-Methoden m. E. sehr schnell Fuß fassen.

      „Transfer Manager“: Das ist ja keine neue Entwicklung, sondern bereits seit Jahren gang und gäbe …

      „Opportunity Branding“: Wenn wir wirklich, wie Du sagst, nicht mehr mit „Zielgruppen“, sondern mit „Individuen“ sprechen, brauchen wir auch kein Branding mehr. Sondern einfach nur ne gute Verkaufe und die nötige Flexibilität/den nötigen Freiraum, auf die Wünsche des Gegenübers einzugehen. – Ich bin aber der festen Überzeugung, dass Arbeitgebermarken in Zukunft eher wichtiger denn überflüssig werden. Mehr noch: Unternehmen werden sich (auch als Arbeitgeber) vehement der Frage stellen müssen, welchen gesellschaftlichen Nutzen sie stiften. Insofern wird Employer Branding wahrscheinlich einen anderen Duktus erhalten, aber keinesfalls verschwinden.

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      • 30. Januar 2020 um 08:34
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        Hey David – danke für Dein Feedback. Sehe vieles ähnlich wie Du es kommentierst. Aber es war ja bewusst als Dystopie angelegt. Manchmal muss man ein Schreckensbild malen, damit Leute überhaupt mal anfangen, hinzuschauen. LG Gero

        Antwort
  • Pingback: KI im Recruiting - Interview mit Rudi Bauer von StepStone - saatkorn.

  • 7. Februar 2019 um 13:46
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    Spannendes Szenario. Ich hoffe allerdings auch schwer, dass wir die Digitalisierung eher in unserem Sinne nutzen können. Denn, wie heißt es gleich so schön? „Fortschritt ist, was dem Menschen dient.“

    Wer mag, kann ja mal erzählen, wie man die Ängste vor der Digitalisierung bezwingt, und ihr mutig entgegen tritt. Dazu habe ich eine Blogparade ins Leben gerufen. (Siehe Website). Freue mich über inspirierende Beiträge!

    Schönen Gruß
    Mareike

    Antwort
    • 9. Februar 2019 um 20:19
      Permalink

      Hallo Mareike
      ja – deswegen hieß mein Artikel ja „Dystopie“. Ich selbst glaube, dass es anders kommt. Wie, schreibe ich sehr gern auf. Lieben Gruß, Gero

      Antwort

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