5 Tipps zur Digitalisierung von Recruiting

Auf der Zukunft Personal habe ich am 15.9. die Ehre, im „future lab HR“ über das Thema „Digitalisierung von Recruiting“ zu sprechen bzw zu „dialogisieren“, es handelt sich nämlich um ein innovatives Kooperations-Format ;-). Hier ein paar erste Gedanken rund um das Thema:

Früher – sagen wir so 1997 – war alles so schön einfach: die Fachabteilung kommt und hat eine neue Stelle zu besetzen. Gibt das Stellenprofil mit einem Briefing an die Personalabteilung. Der Recruiter (oder: die Recruiterin) aus der Personalabteilung schaltet die Stellenanzeige in der Zeitung, meist Samstags. So 5 bis 8 Tage später trudeln die ersten Bewerbungen ein. Je nach Stellenprofil waschkörbeweise, aber in der Regel in mehr als ausreichender Anzahl. Dann das Bewerberscreening. Dann: Pre-Screening: je nach Bewerbungsmenge die bestpassendsten Bewerberprofile rausfiltern aus dem Stapel der „guten“ Bewerbungen. Bei Absolventen reicht oft der Blick auf die Note-Uni Kombination, man kennt ja die Lehrstühle und Hochschulen… Die „schlechten“ einfach direkt absagen. Dann der Screeningprozess. Zusammen mit der Fachabteilung draufschauen und wieder aussortieren. Ja, auch Fotos können durchaus entscheidungswirksam sein, schließlich gilt es, den Pre-Screening Stapel kleiner zu bekommen. Dann Interviews und ggf Assessmentcenter – der eigentliche Auswahlprozess. Top Bewerber einstellen, Onboarding… Onboarding watt? – Nee, is gut, wir schreiben ja 1997.

So ähnlich lief das damals. Recruiting war eigentlich mehr Bewerbermanagement und hatte viel mit Verwalten und Schalten zu tun. Dann entstehen zwei parallele Prozesse, die auf den ersten Blick nicht ganz so viel miteinander zu tun hatten. Einerseits kommt seit Anfang der 2000er ein Recruitingkanal nach dem anderen auf: zunächst die Karriere-Websites, dann die ersten Online-Stellenportale, schließlich Social Media, dann mobile, demnächst vermutlich Virtual Reality…eine regelrechte Kanalexplosion! Andererseits erleben wir seit etwa 2005 in Personalabteilungen heiß diskutierte demografische Entwicklung. Zunächst nur Thema für HRler, weitgehend ignoriert von den wirklichen Gestaltern in Unternehmen. Seit einigen Jahren aber schleichend sich immer mehr in den Vordergrund drängend und wichtiger werdend auch bei Zielgruppen außerhalb von HR.

Diese beiden Entwicklungen führen langsam aber sicher zu einem Paradigmenwechsel auf dem Arbeitsmarkt. Nicht mehr die Arbeitgeber, sondern die Arbeitnehmer kommen zunehmend in eine Machtposition. Vom Angebotsmarkt entwickeln wir uns zu einem Nachfragemarkt. Nicht einfach für die Recruiter, wurden die meisten von ihnen doch ausgebildet unter völlig anderen Marktbedingungen (eher offline und im Zentrum der Macht).

Nun ja, aus den ehemaligen Königen werden so langsam die Bittsteller, aus „Post & Pray“ (dem Recruitingcredo der Vergangenheit) wird immer mehr „Active Sourcing“. Gänzlich andere Bedingungen. Das Thema ist natürlich theoretisch nicht neu und es wurde auch schon viel darüber geschrieben. Aber in immer mehr HR Abteilungen wird nun auch praktisch deutlich: die alten Vorgehens- und Denkweisen funktionieren immer weniger. Neues Gedankengut ist gefragt. Inzwischen gibt es Zertifikatskurse zum Thema „Recruiter Next Generation“ und seit einigen Jahren erfreut sich das Institute for Competitive Recruiting steigender Beliebtheit. Gut so! – Aber schaut man sich in manchen Unternehmen um, kann einem teilweise Angst und Bange werden. Viele Recruiter reduzieren sich immer noch aufs Verwalten anstelle zu gestalten. Der eigene Verantwortungsbereich fängt mit der Stellenanzeige an und geht maximal bis zum Auswahlprozess. Viele Recruiter-Positionen sind sehr junior besetzt und oftmals scheint die Eigenwahrnehmung auch nicht die zu sein, dass man an einer der erfolgskritischsten Stellen eines jeden Unternehmens agiert: nämlich an der Schnittstelle von außen nach innen. An der Stelle, die dafür sorgt, dass ein Unternehmen auch zukünftig motivierte Mitarbeiter am Start hat… Daher für die Recruiter, die es interessiert, meine 5 Cent zum Thema in Form von

5 Tipps zur Digitalisierung von Recruiting

Neugierig sein – und immer weiter lernen wollen
Ohne Neugier läuft meiner Meinung nach im Recruiting ja gar nichts. Man muß neugierig auf Menschen sein. Aber das alleine reicht schon lang nicht mehr, denn die alte Welt, siehe oben, ist spätestens seit dem Launch der ersten Karriere-Seite Vergangenheit. Wie hat sich das erforderliche Kompetenz-Set für gute Recruiter seitdem erweitert! Hier mal eine unvollständige Aufzählung von Kompetenzen, die in den letzten Jahren dazu gekommen sind:

  • IT Kompetenz: als Recruiter muss ich ein grundlegendes Verständnis für die Möglichkeiten und Grenzen des Bewerbermanagementystems haben. Ich muss mit ITlern über Schnittstellen sprechen können, ich sollte zumindest grundsätzlich verstehen, welche IT Entwicklungen Treiber auch für die Entwicklung von Recruiting-Themen sind. Aber damit nicht genug: das Thema Matching gewinnt immer mehr an Bedeutung. Werden in Zukunft Maschinen über Algorithmen und Datenstrukturen die Personalauswahl vornehmen? – Diese Diskussion läuft schon und man sollte zumindest ansatzweise verstehen, was da so abgeht.
  • Sozialkompetenz: durch den oben skizzierten Paradigmenwechsel muss ich BewerberInnen viel mehr auf Augenhöhe begegnen. Ich sollte Erwartungshalten und Bedürfnisse unterschiedlicher Generationen in Bewerberzielgruppen einschätzen können. Ich sollte in der Lage sein, Dolmetscher zwischen Fachabteilung und Bewerber sein zu können – immer wieder gibt es Situationen, wo sehr unterschiedliche Selbst- und Fremdwahrnehmungen übereinander gebracht werden müssen, das kann mitunter sehr politisch werden…
  • Business Verständnis: ich sollte ein gutes Verständnis von der Unternehmensstrategie haben und BewerberInnern erklären können, wo die Reise für das Unternehmen hingeht. Auch hier wird angesichts der Verschiebung vom Anbieter- zum Nachfragermarkt viel mehr „Verkaufsgeschick“ und Wissen als früher benötigt.
  • Ganzheitliches Verständnis, wie die Arbeitgebermarke und das Personalmarketing ineinander greifen. Wofür steht das Unternehmen als Arbeitgeber? Was ist die Arbeitgeberpositionierung? Was sind die aktuellen Kampagenen und Werbebotschaften? – Authentizität ist hier entscheidend. Wenn es gut gemacht ist, sollten da nicht einfach „bunte Bildchen“ zu sehen sein, sondern ein Recruiter sollte in der Lage sein, die aktuelle Arbeitgeberkampagne nicht nur zu erklären, sondern mit Beispielen und Geschichten zu untermauern. Storytelling ist hier gefragt.
  • …es gibt theoretisch noch ne ganze Menge mehr zu sagen, aber die „bottom line“ dürfte klar sein: Augen offen halten und Lernbereitschaft zeigen!

Recruiting-Kanäle priorisieren und fokussieren
Neugierig sein, gut und schön. Aber wie oft wird in Zeiten von Social Media, Mobile und Apps eine neue Themen-Sau durchs Dorf getrieben?! – Gestern war es truffls, morgen ist es jobino und übermorgen die erste Virtual Reality Recruiting App. Don’t get me wrong: mit saatkorn. bin ich ja selbst eifrig dabei, „Säue durch die Dörfer zu treiben“. Das ist ja ein zentrales Kernelement von saatkorn.: neue Themen aufzugreifen. Aber manchmal entsteht bei mir der Eindruck, dass die Recruiting-Kanal-Explosion (die meiner Meinung nach aufgrund der ongoin technischen Entwicklung auch fröhlich weiter explodieren wird) so manchen Recruiter überfordert und dazu führt, dass mancher den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr sieht. Klar ist es wichtig, neue Themen zumindest mitzukriegen, Stichwort Neugier. Aber man muss ja nicht gleich alles selbst ausprobieren. Man sollte sich lieber auf Basis der eigenen Zielgruppen auf dafür wesentliche Plattformen und Themen fokussieren und diese dann gründlich für das eigene Unternehmen testen ohne gleich wieder auf den nächsten Zug aufzuspringen. Auch aus Dienstleister-Perspektive ist es (zumindest mir) lieber, wenn Kunden ein Produkt gründlich testen, anstelle gleich mehrere Themen nur halbherzig auf die Straße zu bringen und sich dann zu wundern, wenn die erwünschten Erfolge ausbleiben.

Verinnerlichen, dass Digitalisierung Kulturwandel bedeutet
Man kann sich in technischer Raffinesse verlieren. Toll, was so manche App inzwischen kann. ABER: ohne das richtige Mindset bringt die tollste Technologie nichts: „garbage in, garbage out“, alte ITler Weisheit. Bedeutet also: wenn ich digital auf der Höhe der Zeit unterwegs sein möchte, sollte ich vor allem begriffen haben, dass der „Kunde Kandidat König“ ist. Aus dem Produktmarketing kann man sich in Bezug auf Personalmarketing und Recruiting eine ganze Menge abschauen, was die „Haltung“ gegenüber Zielgruppen angeht. Vieles davon lässt sich auch für das Thema Recruiting übertragen. Kandidaten sind halt keine Bittsteller mehr und dürfen so auch nicht behandelt werden. Was nützt die tollste Recruiting App, wenn die Prozesse und vor allen Dingen die Haltung der Menschen im Unternehmen eher suggerieren, dass Kandidaten wie in alten Zeiten nur Bittsteller sind?

Recruiting als Schnittstellen-Disziplin begreifen und über den eigenen Tellerrand hinaus agieren
Ja, ich weiß: der Prophet gilt oft im eigenen Lande nichts. Aber als Recruiter sollte man Vorgesetzte und Fachabteilungen davon überzeugen, dass die oben beschriebene „Haltung“ überall im Unternehmen verinnerlicht werden muss. Es nützt wenig, wenn man die eigenen Aufgaben im Gesamtprozess vorbildlich im Griff hat. Recruiting ist eine Disziplin mit immens vielen Schnittstellen in andere Bereiche (Vorgesetzte, Fachabteilungen, Betriebsrat, IT, Personalmarketing, Employer Branding usw usf). Wenn der Gesamtprozess nicht funktioniert und Bewerber abspringen, muss das nicht nur etwas mit den originären Recruitingprozessen zu tun haben. Ergo: Schnittstellenmangement und Überzeugungskraft sind hier gefragt, auch über die Grenzen der eigenen Abteilungsgrenzen hinaus.

Nicht alles selbst machen wollen – Hilfe annehmen
Klar, die Botschaft gehört noch mit rein. Schließlich bin ich im Hauptberuf ja auch Dienstleister 😉
Aber im ernst: die Entwicklung mit komplexen Themen wie Talent bzw Candidate Relationship Management oder Candidate Experience ist derart dynamisch und teilweise komplex, dass man mit der alten Idee, alles selbst machen zu wollen, in der Regel nicht allzu weit kommt. Das Betreiben von Candidate Pools, Story Telling über diverse Plattformen (Print, Website, Social, Mobile…) bis hin zu Themen wie Assessments oder Fragestellungen rund um Matchingalgorithmen und der radikalen Individualisierung von Personalmarketing- und Recruitingprozessen kann man nur dann aus dem eigenen Unternehmen heraus sicher stellen, wenn man eine groß aufgestellte Abteilung mit entsprechenden Spezialisten hat. Das können sich Großkonzerne (teilweise) erlauben, aber die meisten Mittelständler sind dazu nicht in der Lage. Auch in diesem Themenfeld gibt es Dienstleister, die strategischer Sparringspartner oder verlängerte Werkbank sein können. Einige wenige können sogar beides. Angesichts der ganz oben skizzierten Entwicklungen könnte es sinnvoll sein, sich den einen oder anderen Dienstleister einmal genauer anzuschauen.

So weit erste Gedanken für ein Einstieg in das Thema. Ich freue mich auf Diskussionsbeiträge oder noch mehr, wenn sich saatkorn. LeserInnen am 15.9. von 10:15 bis 11:15 in der Messehalle 3.1 in das Praxisforum 8 verirren und dort mit mir rund um das Thema „Ausblick 2020: die Digitalisierung des Recruitings“ diskutieren. Vielleicht bis dann!  😉

 

 

 

Gero Hesse

Ich bin Gero Hesse, Macher, Berater und Blogger in den Themenfeldern Employer Branding, Personalmarketing, Recruiting, Social Media und New Work. Mehr Infos über Gero Hesse.

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