Mehr ARBEITEN, weniger LEIDEN: Dr. Gundolf Wende im Interview

MEHR ARBEITEN, WENIGER LEIDEN

Also, den Buchtitel fand ich persönlich sehr spannend, da auf den ersten Blick widersprüchlich. Grund genug, einmal ausführlich beim Buchautoren Dr. Gundolf Wende nachzuhaken. Und damit nicht genug: Herr Dr. Wende hat auch 3 Bücher in die SAATKORN Lostrommel gepackt. Dazu mehr unten, jetzt erstmal auf in’s Interview: 

SAATKORN: Herr Dr. Wende, bitte stellen Sie sich den SAATKORN Leser:innen doch kurz vor.

Ich bin Experte, Speaker und Autor für Business Excellence.

Nach einer kaufmännischen Ausbildung und nachfolgender beruflichen Tätigkeit studierte ich an nationalen und internationalen Hochschulen neben Biologie und Wirtschaftswissenschaft auch Philosophie, Psychologie, Wirtschafts- und Sportpsychologie, Soziologie sowie Medizin. Meine Abschlüsse erwarb ich in Wirtschaftswissenschaft und Biologie, wo ich schließlich auch promovierte. Nach einer anschließenden mehrjährigen wissenschaftlichen Tätigkeit wechselte ich in die Wirtschaft. Ich arbeitete als Manager in unterschiedlichen Positionen zum Beispiel als Internationaler Vertriebsleiter, als Direktor und als Geschäftsführer.

SAATKORN: MEHR ARBEITEN, WENIGER LEIDEN – so heißt Ihr aktuelles Buch. Wie ist die Idee dazu entstanden?

Die Idee zu diesem Buch entstand vor etlichen Jahren. Soweit ich mich zurückerinnern kann, habe ich mich immer schon für Menschen und deren Wirken sowohl im privaten wie auch im beruflichen Kontext interessiert. Ich versuchte herauszufinden, was Menschen antreibt. Dabei fing ich zunächst bei mir selbst an. Ich beobachtete, dass es etliche Parallelen zwischen meinem Antrieb und dem anderer Menschen gab. Ich stellte fest, dass ich am besten arbeitete, wenn ich mich eingebunden, mit anderen verbunden fühlte. Wir Menschen sind emotionale Wesen. Dieses Gefühl, emotional eingebunden zu sein, lässt sich jedoch nur bis zu einem gewissen Maß selbst steuern – abhängig vom jeweiligen Menschentyp. Im beruflichen Kontext spielt dabei die Unternehmenskultur eine wesentliche Rolle. Um Menschen emotional einzubinden, bedarf es reichlich Menschenkenntnis der Führungskräfte. Es ist wichtig, zu beobachten, wer welches Maß an Eingebundenheit benötigt.

Gleichzeitig ist mir als universelles Phänomen aufgefallen, dass Menschen grundsätzlich leisten wollen. Mehr noch: Sie wollen sogar viel leisten. Das macht sie glücklich und zufrieden. Ich fand so gut wie keine regionalen Unterschiede. Japan, Russland, Australien, Kanada, USA, UK etc.: überall ist mir dieses grundsätzliche Bedürfnis aufgefallen. Regionale Unterschiede gibt es allerdings hinsichtlich des Maßes, in dem sich Mitarbeitende emotional eingebunden fühlen. Das Gallup-Institut führt dazu seit 20 Jahren Befragungen durch. In Deutschland liegt dieser Wert übrigens bei niedrigen 15 Prozent. Sehr wenige Menschen fühlen sich also emotional eingebunden.

Über die Jahre habe ich versucht herauszufinden, warum dieser Wert so niedrig ist. Das Ergebnis habe ich in meinem aktuellen Buch veröffentlicht.

SAATKORN: MEHR ARBEITEN, WENIGER LEIDEN liest sich ja auf den ersten Blick etwas widersprüchlich. Die meisten Menschen würden sagen: Weniger Arbeiten, weniger Leiden. Führt mehr Arbeit zu weniger Leid? 

Ich stimme Ihnen zu: Auf den ersten Blick klingt der Titel widersprüchlich. Den Titel kann man als Ziel bezeichnen. Menschen wollen mehr arbeiten und gleichzeitig weniger leiden. Lassen Sie mich hier allerdings noch hervorheben, dass sich bei „mehr arbeiten“ nicht um mehr Arbeitsstunden handelt, sondern vielmehr um die Intensität der Arbeit. Zum Leiden komme ich gleich. Nehmen wir den deutschen Begriff „Vorgesetzte(r)“. Üblicherweise wird eine Führungskraft Mitarbeitenden „vorgesetzt“. Es ist nun so, dass es die Mitarbeitenden sind, die entscheiden, ob ein(e) Vorgesetzte(r) als Führungskraft akzeptiert wird oder nicht. Da kann die Organisation noch so sehr darauf bestehen. Es sind die Mitarbeitenden, die dies entscheiden. Ob Führungskräfte akzeptiert werden, hängt maßgeblich von deren Verhalten ab. Meine eigenen Beobachtungen decken sich dabei mit den Aussagen vieler Menschen. Oft unterschätzen Führungskräfte die sehr guten Wahrnehmungsfähigkeiten von ihren Mitarbeitenden. Menschen sind schlau. Sie nehmen wahr, ob sie lediglich als Leistungserbringer oder als Menschen in ihrer Ganzheit wahrgenommen werden. Hinzu kommt, dass die meisten Führungskräfte von ihren Mitarbeitenden erwarten, genau so zu arbeiten wie sie selbst. Dies soll nicht als Vorwurf verstanden werden, denn es handelt sich dabei um unbewusste Prozesse. Das Resultat ist jedoch, dass sich Störfaktoren herausbilden. Diese Störfaktoren sind der Grund dafür, dass Mitarbeitende leiden, sie leiden sogar sehr viel. Kürzlich hörte ich jemanden Folgendes sagen: „Wenn der Chef denkt, dass er mich gut behandelt, dann lasse ich ihn im Glauben, dass ich gut arbeite.“ Diese Aussage bringt es meiner Meinung nach sehr gut auf den Punkt. Leistung ist stets freiwillig; sie kann nicht verordnet werden.

Für Führungskräfte gilt es nun, durch bewusstes Wahrnehmen des eigenen Verhaltens und der eigenen Reaktionen die Störfaktoren zu erkennen und sie schrittweise zu reduzieren. Dabei können Führungskräfte durchaus auf die Unterstützung der Mitarbeitenden setzen.

SAATKORN: Wie können Sie in diesen Kontext Ihre persönlichen Erfahrungen mit einbringen?

Lassen Sie mich an den letzten Punkt anknüpfen: Mithilfe meiner Mitarbeitenden habe ich die durch mich verursachten Störfaktoren erkannt und abgebaut. Nun, wie habe ich dies gemacht? Ich habe meine jeweiligen Mitarbeitenden gefragt, was ich verändern sollte, damit sie besser arbeiten können. Die Frage hört sich wahrscheinlich recht einfach an. Aus meiner jahrelangen Erfahrung kann ich sagen, dass ich selbst Schritt für Schritt daran gearbeitet habe. Wichtig ist auch zu erkennen, dass eine solche Frage einen gewissen Vorlauf benötigt. Quasi als Vorleistung ist es notwendig, Vertrauen aufzubauen. Mitarbeitende brauchen das Gefühl, dass sie das sagen dürfen, was sie bewegt. Wenn Mitarbeitende dieses Vertrauen verspüren, dann ist Austausch auf Augenhöhe möglich. Nur dann bekommen Führungskräfte ehrliche Antworten.

In meinem aktuellen Buch beschreibe ich detailliert meine eigene diesbezügliche Erfahrung. Dazu gehört auch folgende Situation: Eines Tages ging ich ins Labor, in dem mehrere Mitarbeitende arbeiteten. Als ich in der Tür stand, wurde es plötzlich ganz still im Raum. Nach ein paar Sekunden sagte eine Mitarbeiterin, dass sie gerade über mich gesprochen hätten. Ich dachte noch: Wow, das ist aber mutig. Die Mitarbeiterin fuhr dann fort, dass ich keine Bedenken zu haben bräuchte, denn es sei nur Gutes: „Wir haben uns gefragt, wie Sie das eigentlich machen – wir arbeiten freiwillig oft mehr, als wir müssten. Und zwar gerne. Und darüber hinaus fühlen wir uns weniger gestresst. Aber keiner von uns weiß so richtig, wie Sie uns immer dazu bringen.“

Ich habe mich natürlich gefreut über die Rückmeldung meiner Mitarbeitenden. Dabei geht es jedoch gar nicht so sehr um mich. Es hat mich gefreut, weil die Mitarbeitenden sich offensichtlich gewertschätzt fühlten und sie verspürten, dass sie so arbeiten dürfen, wie sie es für richtig hielten.

SAATKORN: Für welche Zielgruppe haben Sie MEHR ARBEITEN, WENIGER LEIDEN geschrieben, wer sollte sich das Buch zulegen?

Angesprochen sind sowohl Mitarbeitende als auch Führungskräfte. Es ist wichtig, ein gemeinsames Verständnis voneinander zu bekommen. Es geht mir darum, Mitarbeitenden zu spiegeln, dass ihr Gefühl richtig ist; dass ihre Forderung, mitbestimmen zu dürfen, wie am besten gemeinsam gearbeitet werden soll, berechtigt ist. Ebenso möchte ich Mitarbeitende ermutigen, auf Führungskräfte zuzugehen, indem sie ihre Unterstützung anbieten. Viele Mitarbeitende wollen sicherlich auch einmal Führungskraft werden. Schließlich geht es mir auch um den Kontakt untereinander, egal, ob Führungskraft oder nicht. Für all dies soll das Buch Anregungen geben.

SAATKORN: Sie sprachen von Wertschätzung und emotionaler Einbindung. Was ist Ihrer Meinung nach noch wichtig?

Es gibt weitere Faktoren. Lassen Sie mich zunächst ein sehr wichtiges Merkmal herausgreifen. Ich erwähnte, dass Menschen in ihrer Gesamtheit als Mensch wahrgenommen werden wollen. Dazu braucht es eine besondere Fähigkeit; es ist die Fähigkeit, das große Ganze sehen zu können und dies sowohl in jedem Einzelnen als auch in der Organisation als Gesamtheit. Menschen benötigen einen Bezugsrahmen, einen tieferen Sinn für Ihr Handeln. Die Fähigkeit, das große Ganze sehen zu können, verlangt eine bestimmte Bewusstheit. Es ist die spirituelle Intelligenz, die dies ermöglicht – eine neuere Form von Intelligenz. Ich will betonen, dass es mir dabei nicht um Glaubensfragen geht. In meinem Buch zeige ich, wie wichtig es ist, auf Menschen in ihrer Ganzheit zu achten und sie dadurch wertzuschätzen. Es geht um Authentizität, um Integrität, um Sinnstiftung und um Charisma.

Daniel Goleman hatte Mitte der Neunzigerjahre mit seinem Konzept der Emotionalen Intelligenz aufgezeigt, dass die rationale Intelligenz allein nicht ausreicht, um Menschen anzuregen, bestmögliche Arbeitsergebnisse zu erzielen. Es ist an der Zeit, abermals weiterzudenken. Ein Dreiklang aus rationaler, emotionaler und spiritueller Intelligenz ist notwendig. Spirituell intelligente Führungskräfte achten nicht nur auf die Zahlen, sondern auch auf die Menschen. Mitarbeitende fühlen sich dadurch eingebunden, statt instrumentalisiert.

Ein besonderes Anliegen des Buches ist auch, aufzuzeigen, wie die Verbindung von Mensch und Technik bestmöglich gestaltet werden kann. Als Beispiel für den Bereich Technik habe ich die Prozessorientierung gewählt. Es geht um prozessuale Intelligenz. Es geht darum, alle Vorgänge im Unternehmen in Prozessschritte zu unterteilen, deren Reihenfolge festzulegen und zu dokumentieren. Anschließend kann der Prozessfluss simuliert, überprüft und angepasst werden, bevor er dann in den täglichen Abläufen umgesetzt wird. Wird dieses Vorgehen im Unternehmen durchgängig praktiziert, so spricht man von vollständig umgesetzter Prozessorientierung.

Um die Verbindung von Mensch und Technik bestmöglich gestalten zu können, ist die gerade erwähnte spirituelle Intelligenz erforderlich. Nur mit der Fähigkeit, das große Ganze sehen zu können, lassen sich die technischen Möglichkeiten zu unser aller Nutzen einsetzen. Technik ist letztlich kein Selbstzweck, sondern soll Menschen das Leben erleichtern.

SAATKORN: Wie sehen Sie Ihr Buch im Kontext von „New Work“?

Wegen der großen Bedeutung habe ich dem Thema „New Work“ einen längeren Abschnitt gewidmet. Es ist an der Zeit, dass nun endlich die Ideen von „New Work“ in die Praxis umgesetzt werden. Meines Wissens ist „Mehr arbeiten, weniger leiden“ das einzige konkrete und ganzheitliche Konzept zur praktischen Umsetzung der Forderungen von „New Work“. Und es geht sogar noch deutlich darüber hinaus, indem es Rahmenbedingen beschreibt, unter denen Mitarbeitende gesunde Hochleistung erbringen können. In diesem Sinne ist Hochleistung das Ergebnis eines ganz natürlichen menschlichen Bedürfnisses: Menschen wollen leisten, sie wollen viel leisten.

Zusammengefasst kann man sagen, dass es Hochleistung nur dort geben kann, wo echte Prozessorientierung herrscht, Menschen sich emotional eingebunden, mental fit und flexibel fühlen sowie weitestgehend ohne äußere Störfaktoren arbeiten können. Psychologische Sicherheit der Mitarbeitenden ist hier der entscheidende Faktor. Die mentale Fitness und Flexibilität sind weitere wichtige Aspekte, die ich im Buch ausführlich beschreibe.

SAATKORN: Sie sind ja auch Keynote Speaker. Wann und wo kann man Sie demnächst erleben?

Eine für Januar nächsten Jahres geplante Veranstaltung in Berlin musste leider – wie auch zahlreiche andere Veranstaltungen – aufgrund der aktuellen pandemischen Situation abgesagt werden. Keiner weiß so richtig, wann es endlich wieder losgeht. Genauso wie alle anderen freue ich mich auch darauf, wieder mit Menschen in Kontakt zu treten. Wie gesagt, Menschen sind emotionale Wesen und als solche brauchen wir den direkten Austausch untereinander.

SAATKORN: Herr Dr. Wende, ganz herzlichen DANK für das Interview – und weiterhin viel Spaß und Erfolg mit „Mehr ARBEITEN, weniger LEIDEN“!

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Gero Hesse

Ich bin Gero Hesse, Macher, Berater und Blogger in den Themenfeldern Employer Branding, Personalmarketing, Recruiting, Social Media und New Work. Mehr Infos über Gero Hesse.

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