Enterprise 2.0: Fluch oder Segen?

Florian Schreckenbach, Buchautor und Gründer von TalentialEnterprise 2.0: Fluch oder Segen?

Florian Schreckenbach ist Berater und Mitgründer bei embrander, einer Beratung für Employer Branding, Personalmarketing, Social Media und Online-Kommunikation. Zu diesen Themen und zu den Themen Produktivität und Nachhaltigkeit ist er als Referent, Blogger und/oder Autor aktiv.

Vor der Gründung von embrander und der Online-Recruiting-Plattform Talential im August 2008 war Florian Schreckenbach knapp drei Jahre als Management-Berater bei Capgemini Consulting tätig. Er ist als Dozent an der Universität Mannheim tätig und zertifizierter systemisch-konstruktivistischer Coach. Und genau in dieser Ausbildung haben Florian und ich uns kennen und schätzen gelernt.

Florian hat im soeben veröffentlichten Buch „Enterprise 2.0 – die digitale Revolution der Unternehmenskultur“ zwei Beiträge (mit) verfasst. Grund genug für ein saatkorn. Interview.

Enterprise 2.0 Buch

 

Florian hat viel Spannendes zu erzählen und es gibt sogar 3 Bücher „Enterprise 2.0“-Bücher zu gewinnen. Infos dazu ganz unten nach dem Interview. – Auf geht’s:

saatkorn.: Das Thema „Arbeitswelt der Zukunft“ wird von Dir im Buch „Enterprise 2.0“ in einem Artikel aufgegriffen. Was sind Deine zentralen Statements in diesem Kontext?
Wir sprechen sehr viel über die Nutzung von Social Media in der unternehmensexternen Kommunikation. Und das ist durchaus auch begründet: Social Media kann die Kommunikation und den Reichweiten-Aufbau einer stimmigen Botschaft unterstützen und somit die gewünschte Aufmerksamkeit erzeugen. Dies betrifft im Unternehmen alle Funktionen mit Außenkontakt, wie z.B. Personal, Marketing, PR und Vertrieb.

Allerdings ist es schwierig, die für Social Media benötigte Authentizität nur in der externen Kommunikation und nicht in der internen Zusammenarbeit zu leben. Unstimmige Botschaften sind schnell identifiziert, denn die Selbstdarstellung der Arbeitgeber ist nur eine von vielen Quellen. Social Media muss daher zum Unternehmen passen und sich im Unternehmen und in den Mitarbeitern widerspiegeln. Mit dieser Entwicklung einher geht die kulturelle Veränderung in Bezug auf eine offenere Kommunikation und flexiblere Kollaboration innerhalb des Unternehmens. Und damit sind wir beim Thema Enterprise 2.0, d.h. die Nutzung von Social Media innerhalb eines Unternehmens. Bei Enterprise 2.0 handelt es sich im Kern ein Kulturthema.

Sofern Unternehmen Social Media gesamthaft nutzen, werden starre Organisationsstrukturen und traditionelle Unternehmenskulturen den oben beschriebenen Entwicklungen nicht mehr gerecht. Ein Unternehmen muss als eine Organisation zwingend über eine Strukturiertheit verfügen. Das steht außer Frage. Was aber möglich ist, sind grundsätzlich veränderbare Strukturen im Unternehmen zu schaffen. Diese Veränderbarkeit, Offenheit und Flexibilität machen ein Enterprise 2.0 Unternehmen aus und berücksichtigen die beschriebenen Entwicklungen.

Beispiele hierfür sind: Netzartige anstatt hierarchischer Organisationsstrukturen, Prozessorientiertes anstatt funktionsorientiertes Arbeiten sowie eine dialogorientierte und Hierarchie-übergreifende Kommunikation.

saatkorn.: Hast Du vor dem Hintergrund, dass Enterprise 2.0 ein Kulturthema ist, ein konkretes Anwendungsbeispiel?
Laut der Fallstudienanalyse, die Prof. Petry von der Wiesbaden Business School und ich gemeinsam durchgeführt haben, ist Wissensmanagement die Hauptmotivation für Unternehmen, Enterprise 2.0 einführen zu wollen.

Ein Wiki zum Beispiel schafft eine Grundlage dafür, Wissen als einen vernetzten und somit funktionsübergreifenden Prozess zu verstehen. Dies ermöglicht allen Mitarbeitern im Unternehmen, ihr Wissen mit anderen zu teilen and am Wissen anderer mitzuarbeiten. Wissen kann so als Prozess verstanden werden und ist nicht eine statische Institution im Unternehmen. Enterprise 2.0 ist somit keine Revolution des Wissensmanagements. Es ist mehr eine Evolution, die aufgrund der technischen Neuerungen vernetzt arbeiten zu können, möglich geworden ist.

Aber: Unabhängig jeglicher Enterprise 2.0 Tools (wie z.B. Wikis) ist Wissensmanagement zum Scheitern verurteilt, wenn eine „Wissen ist Macht“-Kultur im Unternehmen vorhanden ist. Enterprise 2.0 Tools können nur befähigen, Wissen vernetzt zu teilen, wenn es vom Wissens-Inhaber gewünscht ist. Aus diesem Grund sollte die Grundeinstellung „Wissen ist zum Teilen da“ in der Unternehmenskultur vorherrschen. Nur dann kann Enterprise 2.0 bzw. ein entsprechendes Wissensmanagement erfolgreich sein.

Im Vergleich zu einem traditionellen Unternehmen verändern sich somit die Strukturen des Wissensmanagements ohne die Strukturiertheit zu verlieren. Und das funktioniert nur, wenn es zur Kultur des Unternehmens passt bzw. perspektivisch eine solche Kultur gewünscht ist.

saatkorn.: Führen iphone, ipad & Co für Dich zu mehr oder zu weniger persönlicher Freiheit?
Wir leben in einer Demokratie und einem Sozialstaat und haben es im Ländervergleich sehr gut. Höher und weiter geht immer, aber realistisch ist das nicht. Ich habe daher für so manche Beschwerden kein Verständnis. Freiheit ist in diesem Kontext daher ein relativer Begriff. In Deutschland persönlich empfundene geringe Freiheit ist daher für manch andere Nationen – provokativ gesagt – fast schon ein Luxusproblem. Das ist ein großes Thema, wir belassen es daher dabei.

Ich beantworte die Frage zur persönlichen Freiheit daher aus der Perspektive der im weiteren Sinne Work-Life-Balance. Das Arbeiten mit dem iphone & Co macht das Leben in meinen Augen leichter und das Arbeiten produktiver. So erleichtert es z.B. mit anderen in Kontakt zu bleiben, sich zu informieren und virtuell unabhängig von Örtlichkeiten zu arbeiten. Ich will (mein Android-Handy 😉 ) nicht mehr missen.

Aber der Segen ist auch Fluch. So bringen iphone & Co auch Nachteile mit sich, die sich negativ auf die persönliche Freiheit auswirken. Nachfolgend drei meiner Meinung nach wesentliche Punkte:

  1. Mit dem steigenden Komfort und Erreichbarkeit steigt natürlich auch die Erwartungshaltung im Sinne einer Reaktion. Zum Beispiel zu lange auf eine Email-Antwort zu antworten ist fast schon komisch, denn man kann es ja quasi immer machen. Zudem steigt die Anzahl an digitaler Interaktionen und Interaktionsmöglichkeiten (neben Emails auch facebook, XING, Twitter etc.). Das kann dann dazu führen, dass eine Nachricht (von unbekannteren Personen) an Wertigkeit verliert und ignoriert/vergessen wird, auch um sich vor der Überforderung zu schützen.
  2. Wir dürfen bei aller Selbstoptimierung und Maximierung der eigenen Work-Life-Balance nicht vergessen, dass wir mit anderen Menschen zusammen arbeiten. Ich finde es daher essentiell wichtig, seine eigenen Arbeitsprozesse nicht nur vor dem Hintergrund seiner eigenen Produktivität zu optimieren. Viel wichtiger ist es, den gesamten übergreifenden Prozess der Zusammenarbeit ganzheitlich zu optimieren und nicht nur sich selber zu optimieren, in dem wir Dinge an andere Personen quasi outsourcen. Ein Beispiel: Nur noch auf Reminder-Mails zu antworten und die erste Mail zu ignorieren, da wenn es wichtig, wird sich der Absender sicherlich ein 2. Mal melden.
  3. Vor einiger Zeit habe ich auf meinem Blog my way to happiness einen Beitrag zum Thema „Warum es manchmal produktiv ist, unproduktiv zu sein“ geschrieben. Dieser greift meinen dritten Punkt auf:
    Es geistern einem viel Privates und Berufliches durch den Kopf. Diese Gedanken wollen und müssen raus. Eine Abkürzung gibt es nicht. Man muss sich die Zeit nehmen. Andernfalls sitzt es einem zunehmend schwerer im Kopf und lähmt einen. In einer „always-on“-Welt wird einem aber automatisch diese Zeit genommen. Es gilt sich diese wieder zurück zu holen und Termine mit sich selber auszumachen.

saatkorn.: Wie müssen sich Deiner Meinung nach Unternehmen auf die Arbeitswelt der Zukunft einstellen?
Kontinuierliche Weiterentwicklung wird von den Mitarbeitern verlangt. Dann muss auch das Unternehmen mit flexiblen Strukturen als gutes Beispiel vorangehen. Zudem hat sich die Markt-Dynamik stark beschleunigt. Es ist daher meiner Meinung nach notwendig, immer wieder den Status-Quo herauszufordern und als Organisation ständiges Lernen als einen Kern-Prozess im Unternehmen zu verankern. Das funktioniert aber nur mit einer entsprechenden Unternehmenskultur.

Enterprise 2.0 ist – wie auch Social Media – nicht für jedes Unternehmen sinnvoll. Auch gibt es keine Erfolgsrezepte in Sachen Enterprise 2.0. Die Ausprägung und Intensität der Anwendung von Enterprise 2.0 Konzepten und Technologien ist abhängig von vielen Faktoren im Unternehmen, so z.B. von Branche, Unternehmensmission, Unternehmensgröße und der bereits vorhandenen Kultur.

Aufgrund dieser Vielfalt an Möglichkeiten ist theoretisches Wissen ohne das praktische Wissen wenig wert. Denn nur nach der praktischen Anwendung lässt sich sagen, ob und wie Konzepte im jeweiligen Unternehmen funktionieren.

Das Ziel meines Artikels über die Arbeitswelt der Zukunft ist, zum Denken anzuregen, Ideen zu geben sowie zu einer Offenheit gegenüber Veränderungen zu motivieren. Zu lange über eine Veränderung nachdenken ist – in manchen Fällen – aber mehr die Suche nach einem Grund es nicht zu machen. Veränderung sollte daher nicht negativ belegt sein, sondern vielmehr als eine Chance zur Verbesserung verstanden werden. Das halte ich für den wesentlichen Mindset in Bezug auf die Arbeitswelt der Zukunft.

saatkorn.: Du hast auch zusammen mit Prof. Petry einen weiteren Artikel beigesteuert. Um was geht es darin?
Prof. Petry und ich haben zum Thema Enterprise 2.0 eine umfangreiche empirische Studie und eine unveröffentlichte Fallstudienanalyse durchgeführt. Die Kernergebnisse daraus werden in dem Artikel inhaltlich zusammengeführt und vorgestellt.

Nachfolgend einige Kernaussagen und -erkenntnisse aus der Fallstudienanalyse:

  • Beim Kulturwandel vertrauen die Unternehmen häufig auf die intrinsische Motivation ihrer Mitarbeiter. Die Erfahrungen zeigen aber, dass ein Kulturwandel selten alleine aus intrinsischer Motivation entsteht.
  • Die notwendige Kulturveränderung ist eine Managementaufgabe, die es anzustoßen, zu unterstützen und vorzuleben gilt – hier besteht noch ein großer Handlungsbedarf.
  • Dabei kann und sollte das Personalmanagement eine zentrale und aktive Rolle übernehmen.
  • Die kulturellen Veränderungen sind nicht ohne entsprechende organisatorische Maßnahmen möglich, so z.B. Selbstorganisation der Mitarbeiter stärken, Social Media Guidelines ausarbeiten, Mitarbeiter schulen und klare Verantwortlichkeiten definieren.
  • Die wesentlichen Verbesserungen im Zuge einer Enterprise 2.0 Einführung sind ein offenerer Informationszugang, weniger Abstimmungsschleifen und schnellere Prozessanpassungen.
  • Es werden in einem Enterprise 2.0 aber keine Hierarchien ausgehebelt. Das war bei keinem Fallstudienteilnehmer der Fall. Es ändert sich aber die Kommunikation in und zwischen den Hierarchien: Sie wird u.a. schneller und abteilungsübergreifend.
saatkorn.: Lieber Florian, herzlichen Dank für das Interview! Ich wünsche Euch gigantische Verkaufszahlen mit dem lesenswerten Buch!  😉
3 saatkorn. LeserInnen können das Buch gewinnen! Wenn Du das Buch „für umme“ haben möchtest, mußt Du auf der saatkorn. facebook Seite im Kommentar unter dem Artikel zum Buch kurz erläutern, wie Du Dir die Arbeitswelt der Zukunft vorstellst und was Deine persönlichen High- und/oder Lowlights sind. Die drei originellsten Beiträge werden dort von Florian beurteilt und prämiert. Zusammen mit dem Herausgeberverlag Wolters Kluwer erhältst Du mit etwas Glück das druckfrische Buch nach Hause geliefert. Viel Glück!!!
Hier nochmal der Link auf die saatkorn. facebook Seite. Du hast hierfür eine Woche Zeit. Die Aktion läuft bis zum 24.6.2012!
Hier als kleiner Appetizer noch das Inhaltsverzeichnis des Enterprise 2.0 Buches:

 

Gero Hesse

Ich bin Gero Hesse, Macher, Berater und Blogger in den Themenfeldern Employer Branding, Personalmarketing, Recruiting, Social Media und New Work. Mehr Infos über Gero Hesse.

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