„Das Recruiting Dilemma“: Interview mit Zukunftsforscher Sven Gabor Janszky

Sven Gábor Jánszky„Das Recruiting Dilemma“: so heisst das neue Buch von Zukunftsforscher Sven Gabor Janszky. Groß vorstellen muss ich den Direktor des 2b AHEAD Think Tank vermutlich nicht mehr, ist die Berichterstattung zum letzten Buch „2025 – So arbeiten wir in der Zukunft“ auf saatkorn. doch ordentlich geklickt worden. Warum Vollbeschäftigung aus seiner Sicht eine Katastrophe ist, hier mehr im Interview:

saatkorn.: Herr Janszky, bitte stellen Sie sich den Saatkorn LeserInnen doch kurz vor.
Ich bin der Direktor eines der bekannten Trendforschungsinstitute in Deutschland, des „2b AHEAD ThinkTank“. Seit zwölf Jahren entwerfen 300 CEOs und Innovationsköpfe der Wirtschaft unter meiner Leitung die Zukunfts-Szenarien und Strategieempfehlungen für die kommenden zehn Jahre. Mein Trendforschungsinstitut berät Vorstände und Unternehmen in Strategie und Innovationsmanagement. Ich selbst bin zumeist als Buchautor und Keynotespeaker auf Strategietagungen gefragt. Meine Trendbücher „2025 – So arbeiten wir in der Zukunft“ (2013) und „2020 – So leben wir in der Zukunft“ (2009) werden von Unternehmen als Szenario für eigene Zukunftsstrategien genutzt. Meine Bücher „Rulebreaker – So denken Menschen, deren Ideen die Welt verändern“ (2010) und „Die Neuvermessung der Werte“ (2014) sind zu einer Art Standardlektüre der Querdenker und disruptiven Innovatoren in der deutschen Wirtschaft geworden.

saatkorn.: Nun haben Sie ganz aktuell ein Buch, „Das Recruiting Dilemma“, veröffentlicht mit der spannenden These, dass wir in eine „Katastrophe der Vollbeschäftigung“ erleben werden. Was hat es damit auf sich? Ist Vollbeschäftigung nicht wünschenswert?
Ja, mein neuestes Buch heißt „Das Recruiting Dilemma“ (Haufe Verlag) und erscheint zur Frankfurter Buchmesse 2014. Es beschreibt den Wandel der Unternehmensstrategien in der kommenden Ära der Vollbeschäftigung. Die Prognosen sind dabei eindeutig: Der deutsche Arbeitsmarkt verliert in den kommenden zehn Jahren 6,5 Millionen Arbeitskräfte, weil die vielen Babyboomer in Rente gehen und nur die geburtenschwachen Jahrgänge nachrutschen. In der Summe ergibt das über die kommenden Jahre dauerhaft eine nicht zu füllende Lücke an fehlenden Arbeitskräften. Die optimistischen Studien sagen eine Lücke von 2 Millionen voraus, die Pessimisten gehen von 5,2 Millionen aus. Um es einfach zu sagen: Wir werden erleben, dass bei ordentlich ausgebildeten Mitarbeitern jede Woche zweimal der Headhunter klingelt. Das ist für Mitarbeiter das Paradies. Sie bekommen mehr Macht und mehr Geld. Aber für Unternehmen ist das eine Katastrophe. Ihnen droht das, was wir im vergangenen Jahr schon einmal bei einem Stellwerk der Deutschen Bahn in Mainz gesehen haben. Dort haben über drei Wochen die Spezialisten gefehlt. Was war die Folge? Die Züge fuhren an Mainz vorbei. Das Produkt wurde also nicht produziert. Genau das droht in allen Branchen. Wer sich als Unternehmen darauf nicht vorbereitet, für den droht tatsächlich eine Katastrophe.

Recruiting Dilemma

saatkorn.: Was sind die zentralen Implikationen insbesondere für ein Land wie Deutschland, welches bei recht stabiler Wirtschaftslage aus HR-Perspektive insbesondere mit den Themen Demographische Entwicklung und Digitalisierung zu kämpfen hat. Für die Unternehmen wird es ja nicht leichter, die passenden Mitarbeiter auf sich aufmerksam zu machen, diese zu gewinnen und zu halten…
Richtig! Ich gehe davon aus, dass die heute übliche „Anstellung auf Lebenszeit“ auf etwa 30-40% der Gesamtarbeitnehmer zurückgeht. Auf der anderen Seite entstehen etwa 30-40% sogenannte Projektarbeiter. Diese sorgen für einen tiefgreifenden Wandel der Arbeitswelt. Denn die lassen sich nicht auf Lebenszeit anstellen, sondern nur für ein Projekt; also für maximal 2-3 Jahre. Danach wechseln die Projektarbeiter zumeist wieder das Unternehmen. Für die Unternehmen wird das eine schwere Situation. Sie werden sich also für eine von zwei grundlegenden Strategien entscheiden müssen. Entweder werden sie zu einem „Fluiden Unternehmen“ oder zu einer „Caring Company“. Ich habe diese beiden Strategien in meinem Buch am Beispiel von zwei Personalleitern des Jahres 2025 beschrieben. Beide leben in unterschiedlichen Welten: Melanie Polenz ist Personalchefin im Mittelstand; Thomas Krüger bei einem Konzern. Beide gehen ganz unterschiedliche Wege, dem Fachkräftemangel zu begegnen und ihren Mitarbeiterbedarf zu sichern. Fluide Unternehmen werden sehr professionell im „Anziehen“ und „Abstoßen von Projektarbeitern. Ihr Ziel ist nicht mehr, die Mitarbeiter zu binden, sondern sie in das lebenslange, persönliche Netzwerk der Führungskräfte aufzunehmen, um immer wieder die Möglichkeit zu haben, den Projektarbeiter für ein Projekt zurück zu holen. Die Caring Companies dagegen werden Bindungen nicht zum Mitarbeiter sondern in sein soziales Umfeld aufbauen. Hier werden in meinem Buch unternehmenseigene Pflegedienste für die Eltern der Mitarbeiter, unternehmenseigenen Schulen für die Kinder der Mitarbeiter und viele andere Maßnahmen eines Corporate Life beschrieben. Das klingt aus heutiger Sicht manchmal etwas idealistisch. Ist es aber nicht! Es ist für die Unternehmen nüchternes Kalkül: Rechnen Sie sich einfach nur aus, was es kostet 40% der Mitarbeiter aller 3 Jahre in einem leergefegten Arbeitsmarkt neu anwerben zu müssen! Nehmen Sie nur die Hälfte dieses Geldes und sie werden ein Corporate Life aufbauen, das zu echter Bindung der Mitarbeiter führt.

saatkorn.: Mal aus Mitarbeiterspektive gedacht: ist das Thema „Vollbeschäftigung“ nicht zumindest aus dieser Perspektive ein Traum?
Ja, absolut. Allerdings ein Traum mit Wermutstropfen. Auf der positiven Seite steht, dass in den kommenden zehn Jahren die Grundangst unserer Gesellschaft verschwindet: Die Angst von dem Verlust des Jobs. Wir werden erleben, dass sich unser aller Sicherheitsempfinden deutlich verändert; übrigens damit auch die großen Themen in Politik und Gesellschaft. Das führt bei den Mitarbeitern zunächst zu höheren Löhnen. Danach führt es dazu, dass Geld unwichtiger wird und andere Kriterien bei der Entscheidung für oder gegen Jobs aufkommen: 1. Persönliche Herausforderung, 2. Gesellschaftlicher Sinn, 3. Exzellentes Team. Kurz darauf führt die Entwicklung dazu, dass Mitarbeiter zu Jobnomaden werden und projektweise ihre Arbeitgeber wechseln. Übrigens tun sie das nicht, weil sie keine Lebenszeitanstellung bekommen würden. Im Gegenteil! Die Unternehmen würden sie liebend gern binden. Aber die Projektarbeiter wollen das nicht. Denn bei ihnen ruft zweimal in der Woche der Headhunter an. Sie wissen, dass sie jederzeit kündigen können und morgen bei 5-10 anderen, interessanteren Projekten anfangen können. Auch die Unternehmen werden das allmählich verstehen. Sie werden begreifen, dass sie letztendlich nur ein passender (oder unpassender) Mosaikstein in der Persönlichkeitsentwicklung der Mitarbeiter sind. Das oberste Ziel von Personalentwicklung wird sein, den Mitarbeiter so weit zu entwickeln, dass er letztendlich zu gut für das Unternehmen wird. Für Mitarbeiter ist das ein Traum.

Der Wermutstropfen kommt bei der Frage ins Spiel, ob wir als Mitarbeiter Zufriedenheit bei unserer Arbeit spüren. Das wird zum Problem. Denn der ständige Mangel an guten Mitarbeitern führt dazu, dass immer mehr minderqualifizierte Mitarbeiter auf höherqualifizierte Stellen gesteckt werden. Sie werden sich Mühe geben und viel Geld verdienen. Aber sie werden auch permanent das Gefühl haben, dass sie die hohen Anforderungen nur unzureichend erfüllen. Das kann auf Dauer unglücklich machen.

saatkorn.: Was sind Ihre zentralen Schlussfolgerungen?
Ich habe in dem neuen Buch versucht, die kommende Arbeitswelt erstmals nicht in abstrakten Trends zu beschrieben, sondern wie ein Roman in echten Arbeitssituationen der fiktiven Personalchefs. Ich gehe davon aus, dass es einige der zentralen Glaubensregeln heutiger HR-Abteilungen dann nicht mehr geben wird, etwa Stellenprofile, Employer Branding oder Business-Partner-Strategien. Ich versuche die Leser mitfühlen zu lassen, warum im Jahr 2025 die besten Mitarbeiter gekündigt werden müssen, wie eine Employee Value Proposition entsteht, wie das Corporate Life funktioniert, warum Personaler zu Datenanalysten werden, wie Senior-Trainee- und Unlearn-Programme entstehen, wie Personaler zu Inhouse-Headhuntern und Personalberater zu 360°-Managern werden, warum Menschen bis 80 arbeiten wollen, wie Career Transition Strategien entstehen, warum Sie betriebseigenen Schulen gründen werden und eigene Mitarbeiter an die Konkurrenz verleihen, warum der Chief Change Officer den Personalchef ersetzen wird … und welche Strategiewege sich für heutige Personaler in den kommenden zehn Jahren ergeben.

saatkorn.: Und wer sollte Ihrer Meinung nach Ihr Buch definitiv lesen? – Die Zunft der HRler wird ja mittelfristig aussterben…
Es ist eindeutig ein Personaler-Buch. Ich glaube, es ist ein MUSS für alle Personaler, die für sich eine strategische Zukunft im Unternehmen schaffen wollen. Denn es beschreibt sehr konkret und detailliert jene Maßnahmen und Module, die die kompetente HR-Arbeit der Zukunft bestimmen werden. Darüber hinaus ist es ein Buch für Führungskräfte auf allen Ebenen. Denn wesentliche Elemente des Talentmanagements werden auf Teamchefs und Abteilungsleiter übergehen. Sie sollten sich ihrer Verantwortung bewusst sein. Sie werden eine andere Führungskompetenz brauchen, als bisher.

Vielleicht sollten wir auch darüber reden, wer es nicht lesen muss: Jene Personaler, die an ihren liebgewonnenen Pfründen des Recruiting, der Personalentwicklung und des Employer Branding festhalten und sich ihrer strategischen Aufgabe für die Zukunft ihrer Unternehmen verweigern. Ich habe leider bei meinen vielen Vorträgen und Workshops in den vergangenen Jahren auch viele Personaler kennengelernt, die es sich in ihrer Gutmenschen-Rolle als Mitarbeiterversteher und bessere Lohnberechner bequem gemacht haben. Wenn sie nicht schnell beginnen, auf Augenhöhe mit den Vorständen über das HR-Management als strategische Zukunftsvision mit klarem Einfluss auf Geschäftsmodelle und bilanzrelevante Kennzahlen zu sprechen, dann werden sie irgendwann in den kommenden zehn Jahren abgelöst durch Personen aus anderen Abteilungen, die diese Aufgaben übernehmen wollen.

saatkorn.: Wie kommen Unternehmen dann eigentlich zukünftig an neue Mitarbeiter und wer kümmert sich darum, dass diese bleiben?
Diese Aufgabe müssen zum größten Teil die Führungskräfte übernehmen. Auf deren persönliches Netzwerk kommt es vor allem an. Sie werden unterstützt durch eine Abteilung, die ich in meinem Buch als „Change Abteilung“ beschrieben habe. Der Chef, also der Chief Change Officer auf Vorstandsebene, wird sozusagen zum Herz des Unternehmens. Denn seine Abteilung sorgt dafür, dass die richtigen Personen jeweils die richtigen Aufgaben und Verantwortungen bekommen, dass diese fluide zwischen den Teams und Abteilungen hin und her geschoben werden und dass die vielen Projekte koordiniert werden. Sein Hauptinstrument ist die Veränderungslandkarte des Unternehmens. Es ist aus heutiger Sicht nicht sicher, wer zu diesem Chief Change Officer wird. Ein strategisch denkender Personalchef hat ebenso eine Chance, wie eine Top-Führungskraft mit anderem Hintergrund. Es ist kein Zufall, dass in dem fiktiven Personaleralltag des Jahres 2025 in meinem Buch die Personalabteilung mit der Innovationsabteilung fusioniert ist. Der Innovationschef wurde zum Chief Change Officer auf Vorstandsebene, der Personalchef wurde zum Chief Changer, eine Ebene darunter. Ich glaube, dies wird in vielen Unternehmen ein typisches Muster werden. Insofern ist das Buch nicht nur ein HR-Buch. Es ist eigentlich eine Anleitung für Vorstände und Top-Strategen, ihre künftigen Unternehmensstrukturen proaktiv und zeitig auf die Anforderungen der Zukunft anzupassen.

saatkorn.: Herr Janszky, vielen Dank für das Interview – und viel Erfolg mit dem neuen Buch!

 

Auf der saatkorn. facebook Seite verlose ich ein Exemplar der „Vollbeschäftigungskatastrophe“. Dazu einfach hier begründen, warum das Buch Dir gehören sollte.

 

 

 

Der Autor: Sven Gábor Jánszky (41) ist Deutschlands führender Trend- und Zukunftsforscher. Als Direktor des renommierten 2b AHEAD ThinkTanks versammelt er seit zwölf Jahren alljährlich CEOs und Innovationschefs der Wirtschaft. Unter seiner Leitung entwerfen sie Zukunfts-Szenarien und Strategieempfehlungen für die kommenden zehn Jahre. Seine Trendanalysen zu den Lebens-, Arbeits- und Konsumwelten der kommenden zehn Jahre und seine Strategieempfehlungen zu Geschäftsmodellen prägen die Zukunftsdiskussionen verschiedener Branchen. Mit seinen Management-Strategiebüchern „Rulebreaker – Wie Menschen denken, deren Ideen die Welt verändern“ (2010) und „Die Neuvermessung der Werte“ (2014) wurde er zum Sprachrohr der Querdenker und disruptiven Innovatoren in der deutschen Wirtschaft. Er ist zudem er Autor des Trendbücher „2025 – So arbeiten wir in der Zukunft“ (2013) und “2020 – So leben wir in der Zukunft” (2009). Der Zukunftsforscher lehrt an u.a. im internationalen Masterstudiengang “Leadership” an der Karlshochschule International University sowie an der Universität Leipzig. Als Berater coacht Janszky Unternehmen in Prozessen des Trend- und Innovationsmanagements, führt Kreativprozesse zu Produktentwicklung und Geschäftsmodellen der Zukunft. Er ist ein gefragter Interview-Experte in den wichtigen Wirtschaftsmedien zum Thema Innovationen und Trends und Keynotespeaker auf Strategietagungen und Kongressen. Er ist Präsident des Verwaltungsrates der 2b AHEAD ThinkTank AG in St. Gallen, Aufsichtsrat der Karlshochschule International University, Mitglied des Beirats der Management Circle AG und Präsident der RULEBREAKER® Society für disruptive Innovatoren. Janszky war Vize-Jugend-Mannschafts-DDR-Meister im Schach 1988. Er bestieg den Kilimandscharo und lief 2013 seinen 19. Marathon.

 

 

 

Gero Hesse

Ich bin Gero Hesse, Macher, Berater und Blogger in den Themenfeldern Employer Branding, Personalmarketing, Recruiting, Social Media und New Work. Mehr Infos über Gero Hesse.

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