Ärztebarometer 2025: Diagnose Jobwechsel
Ärztebarometer 2025: Diagnose Jobwechsel
Das Ärztebarometer 2025 liegt vor und der ärztliche Arbeitsmarkt in Deutschland steht unter hohem Druck. Fachkräftemangel, Krankenhausreform und steigende Erwartungen an die gesundheitliche Versorgung der Bevölkerung treffen auf eine Berufsgruppe, deren Wechselbereitschaft so groß ist wie selten zuvor. Das aktuelle „Ärztebarometer: Jobsuche & Karriere 2025“, die größte arbeitsmarktbezogene Befragung unter Ärztinnen und Ärzten in Deutschland, liefert spannende Einblicke in die Karrierewünsche und Job-Prioritäten von Ärztinnen und Ärzten und zeigt, wo Arbeitgeber aus dem Gesundheitssektor Nachholbedarf haben. Wir haben mit Konstantin Degner von ÄRZTESTELLEN über die wichtigsten Ergebnisse gesprochen. Auf geht’s:
SAATKORN: Konstantin, bitte stelle Dich unseren Leser*innen doch einmal kurz vor.
Konstantin Degner: Sehr gerne. Ich bin Konstantin Degner. Ich kümmere mich bei arztestellen.de um die Themen Business Development und beschäftige mich mit den Veränderungen im Recruitingmarkt des Gesundheitswesens. www.aerztestellen.de ist der Stellenmarkt des Deutschen Ärzteblatts und eine der führenden Jobplattformen für Ärztinnen und Ärzte in Deutschland. Neben der erfolgreichen Umsetzung unserer Plattform, beschäftigen wir uns seit vielen Jahren mit der Frage, wie Ärztinnen und Ärzte den Arbeitsmarkt wahrnehmen, was sie bei einem Jobwechsel bewegt und was Arbeitgeber tun können, um eine so knappe Kandidatengruppe zu erreichen. Mit dem Ärztebarometer 2025 beantworten wir diese Fragen systematisch und datenbasiert alle zwei Jahre. So haben wir ein Standardwerk zu den Karriereambitionen deutscher Ärztinnen und Ärzte geschaffen. Die aktuelle Ausgabe ist soeben erschienen (Download-Link ganz unten).
SAATKORN: Du hast es gerade schon angedeutet: Das Ärztebarometer ist die größte Studie zur Jobsuche von Ärztinnen und Ärzten in Deutschland. Wie war das Setting der Befragung?
Konstantin Degner: Wir haben in diesem Jahr über 3.000 angestellte Ärztinnen und Ärzte befragt – aus allen Fachrichtungen, Hierarchieebenen und Altersgruppen. Die Umfrage hat das Wissenschaftliche Institut für Presseforschung und Publikumsanalysen (WIP) in unserem Auftrag durchgeführt. Ergänzend haben wir rund 800 Stellenanzeigen semantisch analysiert, um herauszufinden, welche Informationen Arbeitgeber in ihren Ausschreibungen kommunizieren. Diese Kombination aus der Kandidatensicht sowie der Ausschreibungspraxis der Unternehmen liefert uns einen klaren Blick auf den ärztlichen Arbeitsmarkt.
SAATKORN: Was sind die zentralen Ergebnisse?
Konstantin Degner: Besonders auffällig ist die enorme Wechselbereitschaft in der deutschen Ärzteschaft. Vier von fünf angestellten Ärztinnen und Ärzten sind offen für ein neues Jobangebot. Immerhin 16,5 Prozent suchen derzeit aktiv nach einem neuen Job. Zudem schauen sich 30 Prozent eigenen Angaben zufolge zumindest gelegentlich um. Ein weiteres Drittel der Befragten ist passiv auf der Suche und geben an, offen für die Anfragen von Arbeitgebern zu sein. Gerade einmal 20 Prozent der befragten Ärzte sind derzeit nicht wechselbereit. Das ist bemerkenswert, denn wir sprechen hier über eine Berufsgruppe, die ohnehin zu den Engpassberufen gehört.
Die hohe Fluktuationsbereitschaft verschärft also ein ohnehin schon bestehendes Rekrutierungsproblem. Wir sehen außerdem, dass die aktuelle Krankenhausreform für viele ein zusätzlicher Auslöser ist, sich neu zu orientieren. Hintergrund: Mehr als jede/r Vierte mit Wechselabsicht nennt sie als konkreten Grund dafür. Die Begründung für die damit verbundenen Wechselbereitschaft ist allerdings nicht die Befürchtung durch die Reform sei der aktuelle Arbeitsplatz in Gefahr. Vielmehr gehen viele davon aus, dass sich ihre Arbeitsbedingungen verschlechtern werden.
SAATKORN: Worauf achten Ärztinnen und Ärzte besonders, wenn sie sich über Arbeitgeber informieren?
Konstantin Degner: Am häufigsten genannt werden in diesem Kontext die Arbeitszeiten sowie das Gehalt. 58 Prozent der Befragten wünschen sich klare Angaben der Arbeitgeber zu Arbeitszeitmodellen in den Ausschreibungen der Arbeitgeber, fast die Hälfte möchten dort mehr zu Verdienstmöglichkeiten erfahren. Das zeigt sehr deutlich, dass Transparenz das Gebot der Stunde ist. Ärztinnen und Ärzte wollen wissen, worauf sie sich einlassen, und sie erwarten, dass Arbeitgeber offen kommunizieren, was sie bieten – gerade in Gehaltsfragen. Mehr als zwei Drittel der befragten Ärztinnen und Ärzte (69 Prozent) bezeichnen eine transparente Gehaltsangabe als „wesentlichen Anreiz für eine Bewerbung“. In der Praxis bleibt dieser Wunsch allerdings weitgehend unerfüllt. Das zeigt der Blick auf Stellenanzeigen, die sich an Ärzte richten. Das Ergebnis: Gerade einmal 4 Prozent der untersuchten Ausschreibungen enthalten eine konkrete Zahl oder zumindest eine greifbare Gehaltsspanne. Damit bleibt der ärztliche Stellenmarkt deutlich hinter den Erwartungen der Bewerberinnen und Bewerber zurück.
Aber auch bei Themen wie Vereinbarkeit von Familie und Beruf oder Flexibilität in den Arbeitszeiten spielt Transparenz eine große Rolle. Der Ärzte-Beruf wird zunehmend weiblich. Mehr als die Hälfte der berufstätigen Ärzte sind Frauen, und mit der kommenden akademischen Generation wird dieser Anteil weiter steigen. Schon jetzt sind zwei Drittel der Medizinstudierenden weiblich. Wer Frauen also keine passenden Arbeitsmodelle anbieten kann, wird es schwer haben, Talente zu gewinnen.
SAATKORN: Und was sind die wichtigsten Jobprioritäten der Ärztinnen und Ärzte?
Konstantin Degner: Wenn man unsere Daten anschaut, wird schnell klar, dass Geld zwar wichtig, allein aber nicht mehr unbedingt ausschlaggebend ist. Ärztinnen und Ärzte wünschen sich ein gutes Arbeitsklima, verlässliche Strukturen und echte Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben. Der Beruf soll fachlich spannend bleiben, aber gleichzeitig Raum lassen für Familie und Erholung. Es geht also für Arbeitgeber darum, eine Balance zwischen Sinn, Sicherheit und Selbstbestimmung zu gewährleisten. Interessant ist, dass sich die Prioritäten zwischen den Generationen und Geschlechtern zwar leicht unterscheiden – junge Ärztinnen legen etwa noch stärkeren Wert auf Vereinbarkeit, Chefärzte etwas mehr auf Vergütung –, aber der Grundtenor ist über alle Gruppen hinweg derselbe: ein respektvolles Miteinander, faire Bedingungen und genug Zeit für das Leben außerhalb des Krankenhauses. Das ist das aktuelle Selbstverständnis ärztlicher Arbeitswelt.
SAATKORN: Wie bewerben sich Ärztinnen und Ärzte heute und was erwarten Sie von den Arbeitgebern?
Konstantin Degner: Sie bewerben sich fast ausschließlich digital. Die meisten bevorzugen die Online-Bewerbung über ein Formularsystem oder per E-Mail. Papierbewerbungen spielen nur noch eine Nebenrolle. Das ist aber auch wenig überraschend. Gleichzeitig zeigt sich aber, dass die Geduld vieler Bewerbender begrenzt, ist: Die Erstellung einer Online-Bewerbung sollte nach Ansicht der meisten Befragten nicht länger als 30 Minuten dauern müssen. Dieser Wunsch nach mehr Tempo spiegelt sich auch in der Anforderung an den Arbeitgeber: Die erste Reaktion des Arbeitgebers nach eingegangener Bewerbung sollte idealerweise innerhalb einer Woche erfolgen. Das bedeutet: Wenn Kliniken oder Praxen hier zu lange brauchen, sind die Kandidatinnen und Kandidaten oft schon zum nächsten Arbeitgeber weitergezogen.
SAATKORN: Welche Hürden erleben Ärztinnen und Ärzte im Bewerbungsprozess?
Konstantin Degner: An erster Stelle steht wie gerade schon angedeutet schlicht der Zeitfaktor. Sie haben einen anspruchsvollen Arbeitsalltag, da bleibt wenig Raum für langwierige Bewerbungsverfahren. Ein weiterer Punkt ist das Anschreiben, es wird von mehr als einem Drittel als Hürde empfunden. Aktuell würde sich mehr als die Hälfte der Befragten (51 Prozent) häufiger bewerben, wenn kein Anschreiben erforderlich wäre. Bei den unter 30-Jährigen liegt dieser Anteil sogar bei 59 Prozent. Wir raten daher dazu, Bewerbungen so einfach wie möglich zu gestalten und unnötige Hürden abzubauen: ein Lebenslauf, ein paar Angaben zur Person – fertig. Das kann für viele Kliniken eine Umstellung sein. Wer aber gefragte Ärzte für sich gewinnen möchte, sollte sich diesen stellen. Der medizinische Arbeitsmarkt ist und bleibt ein klarer Kandidatenmarkt.
SAATKORN: Im Whitepaper zu Eurer Studie geht es auch um den Einsatz von KI in der Bewerbung. Welche Rolle spielt das Thema aktuell für Ärzte?
Konstantin Degner: Noch eine kleinere als etwa in anderen Bewerbergruppen. Rund 13 Prozent der Ärztinnen und Ärzte haben bereits KI-Tools genutzt, um Bewerbungsunterlagen zu erstellen, weitere 31 Prozent planen das in Zukunft. Zum Vergleich: Laut der Studie „Stellenanzeigen 2025“ der KÖNIGSTEINER Gruppe greifen in anderen Berufsfeldern bereits 34 Prozent aller Kandidatinnen und Kandidaten auf KI-Tools wie ChatGPT zurück, um ihre Bewerbungen zu verfassen. Das zeigt, dass die Technologie erst langsam auch im ärztlichen Kontext ankommt und insgesamt noch mit einer gewissen Zurückhaltung betrachtet wird. Ich glaube aber, in den nächsten Jahren wird die KI-Nutzung in Bewerbungen deutlich zunehmen, gerade bei jüngeren Bewerbenden.
SAATKORN: Welche Handlungsempfehlungen ergeben sich aus der Studie für Arbeitgeber?
Konstantin Degner: Arbeitgeber sollten offen und konkret über Gehalt und Arbeitszeitmodelle sprechen, statt sich hinter Floskeln wie „attraktive Vergütung“ zu verstecken. Sie sollten Vereinbarkeit und Arbeitsklima in den Mittelpunkt ihrer Kommunikation rücken, den Bewerbungsprozess vereinfachen sowie beschleunigen und in diesem Kontext vor allem auf das Anschreiben verzichten. Es kostet Zeit, schreckt viele ab und hat kaum Mehrwert. Darüber hinaus ist es entscheidend, die eigene Arbeitgebermarke glaubwürdig zu gestalten. Und last but not least: Die Zukunft der Medizin ist weiblich. Wer Ärztinnen langfristig binden will, muss Strukturen und Kulturen schaffen, die das auch ermöglichen.
SAATKORN: Was ist Dein persönliches Fazit nach dieser Studie?
Konstantin Degner: Der ärztliche Arbeitsmarkt steht vor einem Wandel, der tiefer geht als viele denken. Junge Ärztinnen und Ärzte haben ein anderes Verständnis von Arbeit, Verantwortung und Lebensqualität. Sie sind hoch engagiert, aber sie erwarten auch, dass dieses Engagement auf Augenhöhe stattfindet. Wer das ernst nimmt und seine Organisation entsprechend aufstellt, wird auch in Zeiten des Fachkräftemangels im Gesundheitssegment Talente überzeugen können. Wer dagegen auf alte Strukturen setzt, wird sie nicht finden und die, die bereits da sind, verlieren.
SAATKORN: Herzlichen Dank für das Interview, Konstantin. Und viel Erfolg mit dem Ärztebarometer 2025!
Weiterführende Links:
Der „Ärztebarometer 2025: Jobsuche & Karriere“ kann kostenlos HIER heruntergeladen werden.
Zu Konstantin Degners LinkedIn Profil geht es HIER entlang.
Und Konstantin im SAATKORN Podcast gibt es HIER.

