Paradigmenwechsel: von Post & Pray zu Talent Relationship Management

 

Paradigmenwechsel: von Post & Pray zu Talent Relationship Management

Heute auf saatkorn. mal ein paar Gedanken rund um den Weg von „Post & Pray“ zu „TRM“. Diese Themen beschäftigen mich und natürlich die ganze embrace Mannschaft intensiv. Hier mal ein paar Überlegungen aus meiner Perspektive – verbunden mit der Bitte, die Gedanken gern zu kommentieren. Auf geht’s:

Durch die demografische Entwicklung und den daraus resultierenden Fachkräftemangel in verschiedenen Zielgruppen, durch die Digitalisierung und die daraus resultierende deutlich erhöhte Transparenz über Arbeitgeber und aufgrund deutlich stärker artikulierter Erwartungen aus Mitarbeiter- und Bewerberzielgruppen – Stichwort „Generation Y“ – kommen die Recruitingabteilungen in deutschen Unternehmen zunehmend unter Druck. Es wird schwieriger, die passenden Profile zu finden und zu gewinnen. Und wir stehen hier erst am Anfang der Entwicklung, denn die Statistik zeigt klar auf, dass die Engpässe in den verschiedenen Bewerbermärkten größer werden. Wer Azubis in großen Mengen einstellen muss, weiss davon ein Lied zu singen.

Vom ad-hoc getriebenen Recruiting der Vergangenheit (und viel zu oft auch noch Gegenwart), in der Vakanzen in der Regel in den entsprechenden Print- oder Online-Kanälen geposted wurden und dann ein Warten auf die eingehenden Bewerbungen – je nach Dringlichkeit verbunden mit dem ein oder anderen Stoßgebet, daher das „Pray“ in der Überschrift – gewartet wurde, entfernen wir uns zwangsläufig immer mehr, denn sowohl qualitativ als auch zunehemend quantitativ tun sich immer größere Herausforderungen auf. Was also tun?

Ich bin davon überzeugt, dass ein strategisches Beziehungsmanagement zu Bewerberzielgruppen aufgebaut werden muss. Es geht darum, Bewerberpools aufzubauen, diese Pools mit relevantem Content zu bespielen und langfristig aus Interessenten Mitarbeiter zu generieren. Vom ursprünglichen „Post & Pray“ Prozess

kommen wir immer mehr zu einem „Talent Relationhsip“ Prozess:

Was sind die neuen Elemente?

  • Identify: es geht darum, die relevanten Zielgruppen überhaupt erst zu identifizieren. Einerseits über den klassischen Weg (Aufbau der Arbeitgebermarke, Poolen von Bewerbungen), andererseits aber auch und insbesondere durch die Suche in entsprechenden „Talent Pools“, beispielsweise über XING, Linkedin oder andere Jobdatenbanken oder Karrierenetzwerke wie beispielsweise careerloft.
    Und ganz wichtig: es geht nicht nur um komplett neue Kontakte. Was ist mit Praktikanten, ehemaligen Azubis oder Mitarbeitern? – Auch diese sollten nicht nur – wie es meistens aktuell passiert – in irgendwelchen Excel-Listen als Karteileichen vor sich hinsiechen, sondern aktiv über Pools bespielt werden.
  • Pre-Assess: Hierbei geht es darum, aus der Grundgesamtheit aller Kontakte mit der ich als Arbeitgeber Verbindungen habe, diejenigen in Pools zu sortieren, an denen ich ernsthaftes langfristiges Interesse habe. Dies lässt sich durch den Einsatz von eAssessment-Tools erreichen oder aber über traditionellere Wege wie beispielsweise Telefoninterviews oder Erstgespräche auf Recruitingmessen respektive bei ehemaligen Mitarbeitern ein erneutes Gespräch. Auf jeden Fall müssen die relevanten Zielgruppen in entsprechenden Talent Pools gebündelt werden, damit auf dieser Basis dann ein zielgerichteter Dialog stattfinden kann.
  • Engage: Hier geht es um den jeweils relevanten Informationsaustausch für die betreffende Zielgruppe. Zentral ist hierbei, dass die Informationen für die jeweilige Zielgruppe eine echte Relevanz haben müssen. Zu berücksichtigen sind dabei Berufslebenszyklus und fachliche Schwerpunkte.
    In Bezug auf den Berufslebenszyklus ist zu beachten, dass Schüler ein anderes Informationsbedürfnis als Absolventen und die wiederum ein anderes Informationsbedürfnis als (Young) Professionals haben, was sich sowohl auf die Inhalte an sich, aber auch auf die Form, wie die Inhalte kommuniziert werden, bezieht.
    Im Hinblick auf fachliche Schwerpunkte ist zu berücksichtigen, dass verschiedene Bewerberzielgruppen ebenfalls ganz unterschiedliche Informationsbedürfnisse und -kanäle erwarten: Ingenieure und ITler beispielsweise interessieren sich auch im Hinblick auf die Arbeitgeberwahl für ganz andere Themen als BWLer oder Juristen und unterscheiden sich auch in der Nutzung von Personalmarketingkanälen und –instrumenten.
    Der Bereich Engage bezieht sich also ganz stark auf die Kommunikation zu Bewerberzielgruppen. Hier spielen Kommunikationsinhalte und –kanäle eine ganz zentrale Rolle. Ich muß als Arbeitgeber meiner jeweiligen Zielgruppe die richtigen Geschichten erzählen.  Hier gilt es, die gesamte Medienklaviatur zu spielen – je nach Bedürfnis der Zielgruppe. Print spielt hier eine wichtige Rolle, ebenso wie Social Media, das als dialogisches Instrument in diesem Kontext natürlich ganz erhebliche Chancen bietet.

So weit zu den entscheidenen Unterschieden aus Prozess-Sicht. Das kann man schnell verstehen – die Umsetzung in den Unternehmen dauert in der Regel viel länger, denn es handelt sich für die meisten Recruitingabteilungen in erster Linie um einen massiven Change Prozess. Und hier liegen die wirklichen Herausforderungen – mal abgesehen davon, dass man für diese Prozesse auch die richtigen Technologien am Start haben muss.

In vielen Unternehmen agieren die Recruitingabteilungen noch in erster Linie administrativ. Sie schalten basierend auf den aus den Fachabteilungen kommenden Vakanzen die Job Postings, screenen die eingehenden Bewerbungen, sorgen für die Vollständigkeit der Bewerbungsunterlagen, machen das Absagemanagement und terminieren Gespräche mit den A-Kandidaten aus dem Bewerbungsprozess.

Dass Active Sourcing in Pools auf beispielsweise XING, LinkedIn oder in Karriere-Netzwerken wie careerloft eigentlich an erster Stelle stehen müsste, sehen viele Recruiter noch nicht und sind in der Regel auch nicht für die Suche ausgebildet. Was sind die Unterschiede der Suchmechanismen auf verschiedenen Plattformen? Wie spreche ich unterschiedliche Zielgruppen direkt an? Wie erfolgt eine Ansprache bei XING so, dass ich später keine rechtlichen Probleme bekomme?

Noch schwerwiegender aber wiegt die Frage nach Kompetenzen für den „Engage“ Schritt. Das erfolgreiche Betreiben von Talent Pools erfordert nämlich noch eine ganze Reihe weiterer Fähigkeiten: wenn die Kommunikationsinhalte und –kanäle wie oben skizziert eine immer größere Rolle spielen, werden Kommunikationsexperten im Recruiting benötigt. Welcher Kanal für welche Zielgruppe? Wie erstelle ich einen Redaktionsplan auf Basis dessen ich einen Talent Pool inhaltlich nicht nur 2 Wochen, sondern ein ganzes Jahr lang bespielen kann? Wie stelle ich eine mehrkanalige Kommunikationsstrategie sowohl redaktionell als auch formal (Video spielt eine immer größere Rolle) sicher?

Und zu guter Letzt noch die Erkenntnis, dass in einer Gesellschaft, in der das Streben nach Individualität zu einem der ganz großen Trends geworden ist, Massenansprachen in der Regel wenig Chancen haben. Im Produktmarketing ein alter Hut (CRM lässt grüßen) ist es für die meisten Personalabteilungen stand heute kaum machbar, möglichst auf individueller Ebene mit den Zielgruppen zu kommunizieren. Genau das aber wird erwartet. Notwendig sind also Tools, die individuelle Kommunikationsprozesse sehr effizient unterstützen und CRM Elemente integrieren.

Dies sind nur einige Fragen, die man sich auf dem Weg von „Post & Pray“ hin zu „Talent Relations“ stellen muss. Ja: Muss. Denn langfristig kann man sich als Arbeitgeber nicht aussuchen, ob man diesen Weg beschreitet. Die Zielgruppen werden es vorgeben.

 

 

Gero Hesse

Ich bin Gero Hesse, Macher, Berater und Blogger in den Themenfeldern Employer Branding, Personalmarketing, Recruiting, Social Media und New Work. Mehr Infos über Gero Hesse.

7 Gedanken zu „Paradigmenwechsel: von Post & Pray zu Talent Relationship Management

  • 21. Oktober 2013 um 14:04
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    Ich sehe eine große Herausforderung im Punkt ‚Engage‘: undzwar beim Thema Inhalte. Contentproduktion ist aufwendig. Inhalte müssen gut gemacht sein, um bei der Zielgruppe aufgenommen zu werden. Die Frage, wie fein ich meine Zielgruppen clustern muss, um ihnen relevante Inhalte anbieten zu können (interessiert Ingenieur A, was Ingenieur B interessiert oder löscht er die Info?), steht der Frage gegenüber, wie groß (oder wichtig) diese Kreise sein müssen, damit sich der Aufwand rechtfertigt. Die Kunst wird für Unternehmen darin liegen, ihre Zielgruppen so zu kennen und geschickt zu kombinieren – letzeres vielleicht sogar je nach Topic flexibel -, daß sich Aufwand und Nutzen die Waage halten. Keine leichte Aufgabe. Das hat mehr mit Medienmanagement und CRM zu tun als mit Recruiting. Ein weiteres Beispiel, wo sich HR Funktionen Know-how von anderen Bereichen abschauen müssen, um langfristig erfolgreich zu sein.

    Antwort
  • 21. Oktober 2013 um 14:02
    Permalink

    Ich sehe eine große Herausforderung im Punkt ‚Engage‘: undzwar beim Thema Inhalte. Contentproduktion ist aufwendig. Inhalte müssen gut gemacht sein, um bei der Zielgruppe aufgenommen zu werden. Die Frage, wie fein ich meine Zielgruppen clustern muss, um ihnen relevante Inhalte anbieten zu können (interessiert Ingenieur A, was Ingenieur B interessiert oder löscht er die Info?), steht der Frage gegenüber, wie groß (oder wichtig) diese Kreise sein müssen, damit sich der Aufwand rechtfertigt. Die Kunst wird für Unternehmen darin liegen, ihre Zielgruppen so zu kennen und geschickt zu kombinieren – letzeres vielleicht sogar je nach Topic flexibel -, daß sich Aufwand und Nutzen die Waage halten. Keine leichte Aufgabe. Das hat mehr mit Medienmanagement und CRM zu tun als mit Recruiting. Ein weiteres Beispiel, wo sich dafür, wie wichtig es ist, dass sich HR Funktionen Know-how von anderen Bereichen abschauen müssen.

    Antwort
  • 18. Oktober 2013 um 12:02
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    Hallo Herr Hesse!
    Sicher, für größere Unternehmen trifft das zu. Die „alten“ Vorgehensweisen abzuschaffen und ein viel aktiveres Rangehen einzuführen ist hier eine echte Herausforderung. Ich selber bin in einem sehr kleinen IT-Unternehmen. Den Schritt „Post“, den gibt es bei uns schon quasi nicht mehr. Wer interessiert sich schon für die Posts von so unbekannten Unternehmen, wenn es SAP, IBM und Konsorten gibt…
    Es geht eigentlich nur noch über Active Sourcing.
    Aber genau das macht doch auch viel Spaß dabei!!
    Viele Grüße
    Claudia Hoffmann

    Antwort
  • 16. Oktober 2013 um 14:33
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    Hallo Herr Hesse,

    spannend, wird diese Woche Top-Beitrag bei uns!

    Beste Grüße

    Winfried Felser

    Antwort
  • 16. Oktober 2013 um 13:27
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    Hallo Gero,

    auch wir stimmen mit Eurer Sichtweise bei embrace da quasi vollständig überein. Wir haben den Prozess in die drei Kernschritte „Identify“, „Engage“ und „Win“ unterteilt – Du nennst sie genauso. Aspekte wie das Assessment von Kandidaten sehen wir als Teil der Ziele von Talent Engagement (bei Dir Pre-Assess/ Assess – wie nennen es „Learn“ im Engagement-Teil und meinen damit mehr über den Kandidaten zu erfahren) . Auch zu den einzelnen Schritten haben wir uns noch weitere Gedanken gemacht, die man in unseren drei White Papers abrufen kann: http://www.intraworlds.de/medien/white-papers/

    Spannend ist auch die Frage, ob der erste Schritt im TRM Prozess wirklich „post“ sein sollte oder perspektivisch gedacht nicht aktivere Aspekte (Active Sourcing) beinhalten sollte.

    Beste Grüße,

    Jens

    Antwort
  • 16. Oktober 2013 um 12:06
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    Hallo Gero,

    sehr gute Zusammenfassung und ein schöner Ausblick auf die neue Rekrutierungswelt. Ich gehe vollkommen mit, dass gerade für höher qualifizierte Berufe die Schaffung von Talent Pools und anderen Bindungsintrumenten essentiell sein wird. Für das produzierende Gewerbe ist der Einsatz eher fragwürdig.

    Eine andere Kernaussage ist die, dass Prozesse geändert werden müssen. Die neue Generation von Personalern, die gerade frisch von den Unis in die Unternehmen gespült werden, aber auch diejenigen, die die Zeichen der Zeit erkennen, kämpfen in den Abteilungen oft gegen Windmühlen. Prozesse sind eingefahren und teilweise ist man zu einer Veränderung nicht bereit. Im Moment funktioniert ja auch alles bestens. Klar, die Bewerbungen werden weniger, aber die Stellen können doch (fast) immer besetzt werden. Das Problem liegt darin, dass meist nur der klassische Weg gegangen wird und erst gesucht wird, wenn der Bedarf da ist. Hier ist schon die erste Veränderung in den Köpfen notwendig. Weg vom direkten Auftrag hin zur Strategie. Schon vor zwei Jahren trat ich meine damalige Stelle als Talent Scout mit der Vision an, irgendwann einen Pool an Leuten zu haben, in den ich bei einer Ausschreibung einfach reingreifen kann. Die Kommunikation mit den Interessenten, die einmal Mitarbeiter werden könnten, idealerweise sehr individualisiert, ist eine herausfordernde und zugleich sehr spannende Aufgabe. Ich jedenfalls freue mich darauf, Personal ein kommunikativeres Gesicht zu geben.
    Eine weitere Idee, um die Bedarfe noch besser zu erfüllen, ist z.B., die Talent-Sucher direkt in die Fachabteilungen zu setzen. So bekommen sie einen viel direkteren Blick für die Anforderungen, sowohl fachlich als auch menschlich.

    Ein ganz anderer Punkt ist allerdings der, wem denn jetzt ein Talentpool gehört. Ähnlich wie bei Xing-Kontakten kann hier natürlich das Unternehmen einen Anspruch erheben, die Kommunikation fand allerdings auf viel kleinerer Ebene statt.

    Kurzum kommen hier tolle Neuerungen auf uns zu und es wird ein „Muss“ sein, diese mitzugehen und aktiv zu gestalten. Der Blog leistet dafür natürlich einen tollen Anteil. 😉

    Viele Grüße, Matthias

    Antwort

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