Digitales Arbeiten: Fluch oder Segen? – 5 Thesen

Digitales Arbeiten: Fluch oder Segen? – 5 Thesen

Ich schaue sehr selten Talkshows. Vor wenigen Wochen saß ich Sonntags abends vorm Fernseher und wollte eigentlich schon ausmachen und mich ins Bett begeben, als ich beim „Abschluss-Zappen“ (macht das eigentlich auch jemand aus der Leserschaft? – Schlechte Angewohnheit!) bei Günther Jauch und der Diskussion um die Regulierung von Managergehältern hängen blieb. Dort redete Sahra Wagenknecht den Carsten Maschmeyer so ziemlich an die Wand. Ich habe mir die Diskussion dann nicht zu Ende angeschaut sondern nur gedacht, dass Frau Wagenknecht zwar in meinen Augen teils fragwürdige Konzepte vertritt, aber doch ganz schön tough diskutieren kann. Montags morgens klingelte dann bei mir das Telefon und ich wurde gefragt, ob ich nicht Lust hätte bei der  UDL Digital Talkshow der E-Plus Gruppe zum Thema „Digitales Arbeiten: Fluch oder Segen“ mitzumachen. Das Thema fand ich natürlich sofort spannend. Auf meine Frage, wer denn die Mitdiskutanten seien kam dann die Antwort: Sahra Wagenknecht. Wie das Leben so spielt…  😉

Ein paar Tage später war es dann so weit: Moderiert von Cherno Jobatey durften Frau Wagenknecht und ich uns zum Thema austauschen. Oder so ähnlich. Der Talk wurde wie folgt auf der UDL Digital Seite angekündigt:

„Dank moderner Smartphones und Tablet PCs sind wir imstande, nicht mehr ausschließlich aus dem Büro sondern von jedem Ort der Erde zu arbeiten. Netzwerke wie facebook und twitter sorgen dafür, dass berufliche und private Kommunikation immer stärker miteinander verschmilzt.Gerade Startups und junge digitale Unternehmen sprechen immer wieder von einer Unternehmenskultur, mit deren Hilfe es möglich ist, Mitarbeiter zu längeren Arbeitszeiten und höherer Leistung zu bewegen – auf freiwilliger Basis. …Werden wir ausgebeutet und dürfen nicht mehr abschalten? Oder aber haben wir so viel Spaß am Arbeiten, dass wir nicht abschalten wollen und müssen?“
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Leider kam es zwischen Frau Wagenknecht und mir zu keiner richtigen Diskussion. Man könnte sagen: die Gesprächspartner haben beide ihre Meinungen bzw ihr Parteiprogramm vertreten, dabei aber eigentlich jeweils einen Monolog gehalten. Dass die Video-Zusammenfassung auf dem UDL Digital Youtube Kanal mit inzwischen fast 65.000 Views das meistgeschaute Video ist, hat mich total überrascht. Auf dem UDL Digital Blog wurde der Talk auch kommentiert, ebenso wie auf anderen Blogs (zum Beispiel hier und hier). Erwartungsgemäß gibt es zu dem Thema ziemlich unterschiedliche Meinungen. Hängt wohl davon ab, vor welchem Kontext man selbst agiert. Anscheinend trifft das Thema aber einen Nerv. Hier kann man mal reinschauen:

[videoembed type=“youtube“ width=“680″ height=“380″ url=“https://www.youtube.com/watch?v=s2aDrNmeVzs“ id=“0″]

Mein Eindruck war und ist auch nach Betrachtung des Zusammenschnittes, dass Frau Wagenknecht etwas am Thema vorbei diskutiert hat. Dass es in Deutschland Leute gibt, die weit unter einem angemessenen Lohn beschäftigt werden, dass es bei Versandhändlern teilweise zum Schreien ungerechte Arbeitsbedingungen insbesondere in den Lagerbereichen gibt: gekauft. Und das finde ich auch nicht gut.
ABER:
was hat das Bitteschön mit der Frage zu tun, dass Wissensarbeiter aufgrund der neuen technologischen Möglichkeiten und Devices räumlich und zeitlich absolut flexibel arbeiten können? Dass dadurch ganz neue Möglichkeiten der Arbeit entstehen? Dass es insbesondere eine Frage der Unternehmens- und Führungskultur ist, wie man mit dem Thema „Digitales Arbeiten“ umgeht. Und ob das dann eher Fluch oder Segen ist?! – In meinen Augen: nichts.

Daher nehme ich mir als Blogger heute die Freiheit, aus meiner persönlichen Sicht 5 Thesen zum Thema „Digitales Arbeiten: Fluch oder Segen“ zu verfassen. Und freue mich auf Diskussionen dazu, denn mit Sicherheit gibt es dazu auch ganz andere Meinungen. Auf geht’s:

  1. Digitales Arbeiten im engeren Sinne (wie oben von UDL Digital beschrieben) betrifft in erster Linie Wissensarbeiter
    Wer kann von ipad, iphone, Social Media in Bezug auf das tägliche Arbeiten überhaupt in dem von UDL Digital formulierten Kontext profitieren? – Wohl kaum Lagerarbeiter oder gewerbliche Kräfte (auch wenn diese selbstverständlich außerhalb des Arbeitskontextes sehr wohl mit diesen Themen in Berührung sind, bitte nicht falsch verstehen). Nein: in diesem Kontext geht es in erster Linie um die sogenannten „Knowledge Worker“. Laut Wikipedia sind das „workers whose main capital is knowledge. Typical examples may include software engineers, architects, engineers, scientists and lawyers, because they think for a living“.
    UND: es handelt sich in diesem Kontext natürlich sowohl um Angestellte als auch Freiberufler.
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  2. Räumliche und zeitliche Flexibilität sind grundsätzlich positiv, denn der individuelle Freiraum ist entscheidend für Motivation
    Diese Aussage kann ich vor dem Hintergrund der allgemeinen Entwicklung des Arbeitsmarkets in Deutschland, Stichwort Fachkräftemangel, nicht anders treffen. Wir benötigen in den nächsten Jahren unter der Voraussetzung halbwegs stabiler konjunktureller Verhältnisse weitaus mehr gut ausgebildete Arbeitskräfte als vorhanden sind. In diesem Kontext verweise ich immer gern auf Studien, als Beispiel „Deutschland 2020“ von McKinsey (download hier) oder die Untersuchungen von BCG zum Thema Fachkräftemangel (Grafiken daraus hier). Da hilft dann auch nicht die Aussage von Frau Wagenknecht, dass man nicht so tun solle, als habe in Deutschland jede Person Arbeit. Denn: es geht ja eben um die gut ausgebildeten und arbeitswilligen Personen. Und die fehlen. Räumliche und zeitliche Flexibilität kann gerade für Familien (ich möchte hier nicht nur auf dem Frauen-Thema rumreiten, denn Männer sind davon ja auch betroffen) ein riesiger Vorteil sein.
    Ganz subjektiv kann ich als Familienvater mit 4 Kindern die Digitalisierung nur loben. Mal eine Zeitlang von zu Hause arbeiten, weil es aus familiären Gründen nicht anders geht, wäre vor Internet, iphone & Co nicht machbar gewesen.
    Gerade für die oben angesprochenen „Knowledge Worker“ spielt der individuelle Freiraum bei der Arbeitsgestaltung eine massive Rolle bei der Arbeitszufriedenheit, bei Identifikation und Motivation. Wer Ideen voranbringen möchte, wer gestalten möchte – kurz, wer Unternehmer ist, der benötigt auch Freiraum zum Denken und Gestalten. Und individueller Freiraum wiederum hat sehr viel mit räumlicher und zeitlicher Flexibilität zu tun. Ich kann entscheiden, wann ich was tue. Dass diese Entscheidungsfreiheit stets in einem Gesamtkontext steht und beispielsweise kurz vor Abschluss von Projekten oder Kundenpräsentationen anders aussieht als in Phasen, wo keine aktuellen Abgabezwänge vorliegen, ist klar. Dass Freiberufler hier unter größeren Zwängen stehen als Angestellter ebenso (aber niemand wird gezwungen, freiberuflich zu arbeiten). Und es ist auch nicht gemeint, dass die totale Freiheit existiert. Im System Arbeit ist man eben nicht als völlig losgelöstes Individuum unterwegs, sondern steht mit anderen Personen (Chef, Kollege, Mitarbeiter, Kunde, Dienstleister usw. usf.) im Austausch. Und dennoch ist das Maß des individuellen Freiraums im Vergleich zum Stecknadelmitarbeiter von Adam Smith gigantisch.
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  3. Eigenverantwortung ist gefragt
    Ist vor dem Hintergrund der Punkte 1 und 2 dann alles toll? – Die Antwort liegt vor dem Hintergrund steigender Burn Out Raten und ständiger Verfügbarkeit auf der Hand: natürlich nicht. Zunächst ist Eigenverantwortung gefragt. Als erwachsener Mensch sollte ich im Idealfall selbst gewisse Grenzen ziehen und entscheiden, ob ich am Wochenende, spät Abends oder im Urlaub noch verfügbar sein möchte. Und auch dies gilt gleichermaßen für Freiberufler und Angestellte. Jedes Device hat einen „Aus“ Knopf. Ich entscheide selbst, ob ich ständig verfügbar bin. An der Selbstverantwortung krankt es aus meiner Erfahrung oft: MitarbeiterInnen meinen hin und wieder, dass ständige Verfügbarkeit und quantiativ langes Arbeiten zum „guten Ton“ gehört. Man ist lange da, weil die anderen im Team ja auch lange da sind. Aber ist es nicht das Arbeitsergebnis, was zählt? Sollten die Tage nicht vorbei sein, an dem man beim Feierabend machen um 17 Uhr mit dem Spruch „Na, halber Tag Urlaub?!“ angemobbt wird?! – Bei Freiberuflern steckt die Existenz dahinter und somit gibt es oft einen knallharten materiellen Grund für lange Verfügbarkeiten. Aber: auch das ist in meinen Augen ebenfalls eine individuelle Entscheidung, ob ich freiberuflich tätig bin und somit dort leben kann, wo ich es ganz individuell möchte und weitgehend selbstbestimmt oder ob ich angestellt bin und von daher in meinem Leben auch vom Standort her Kompromisse mache.
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  4. Regeln müssen vorhanden sein und Führung spielt eine zentrale Rolle
    Neben der Eigenverantwortung sollte es meiner Meinung nach zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer Regeln geben, an denen man sich orientierten kann. Ich bin kein Freund von pauschalen Regelungen á la 35 Stundenwoche für alle. Dafür sind die individuellen Anforderungen in Unternehmen je nach Auftragslage zu unterschiedlich. Vielmehr sollte es zwischen den Vertragsparteien (gilt also ebenso für Freiberufler, die für Organisationen Aufträge erledigen) klare Regeln geben, die in einem Diskussionprozess ausgehandelt und weitestegehend verbindlich festgelegt werden. Wenn also vor Projektabschluss sehr viel gearbeitet werden muss, sollte es klar sein, dass diese Mehrarbeit in irgendeiner Art und Weise honoriert wird. Das kann sich in Bezahlung oder aber in Zeit ausdrücken. Auch hier sind die individuellen Bedürfnisse meines Erachtens sehr unterschiedlich. In meinem Unternehmen gibt es Vertrauensarbeitszeit, also keine Stechuhren mehr. Und es gilt: Mehrarbeit wird durch freie Tage „abgegolten“. Dass das ein ständiger Verhandlungsprozess ist, sollte klar sein. Aber aus Unternehmerperspektive muss es ja Ziel sein, die langfristige Arbeitsfähigkeit, Identifikation und Motivation der MitarbeiterInnen oder im Falle von Freiberuflern „ZuarbeiterInnen“ zu erhalten. Und dies geht meiner Meinung nach, wenn man in einem gemeinsamen Dialog klärt, welche Regeln für die Verfügbarkeit im Job gelten. Damit so ein Regelwerk funktionieren kann, müssen Führungskräfte als Vorbilder agieren und sich auch selbst an die definierten Regeln halten. Dadurch entsteht Vertrauen. Ausnahmefälle wird es immer wieder geben – diese stellen aber dann kein Problem dar, wenn es sich auch wirklich um Ausnahmen handelt. Und auch Führungskräfte sind Menschen, haben Bedürfnisse und sollten die Arbeit nicht als einziges Thema über alle anderen Themen stellen. Etwas ausführlicher habe ich mich mit diesem Thema mal vor einigen Wochen hier beschäftigt.
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  5. Digitalisierung führt zu mehr Transparenz und stellt auch Arbeitgeber vor große Herausforderungen
    Die Frage „Digitales Arbeiten: Fluch oder Segen?“ habe ich in den Punkten 1-4 eher aus Arbeitnehmerperspektive gesehen, aber auch die Arbeitgeber sind davon extrem betroffen. In Deutschland wandeln sich in verschiedenen Berufsgruppen Arbeitgeber- zu Arbeitnehmermärkten. Gerade bei Medizinern, ITlern oder Ingenieuren lässt sich diese Entwicklung sehr gut verfolgen. Durch Social Media entsteht eine erhöhte Transparenz über Unternehmen und deren Arbeitsbedingungen sowie Unternehmenskultur. Vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung geraten Arbeitgeber mehr und mehr unter Druck, das richtige Personal, in der notwendigen Quantität und Qualität zu bekommen. Ich bin mir sicher, dass sich diese Tendenz mittelfristig auch auf andere Berufs- und Zielgruppen ausdehnt. Durch die doppelten Abiturjahrgänge momentan nicht erkennbar, werden Unternehmen, die in großen Zahlen Auszubildende einstellen, in den nächsten Jahren massiv unter Druck geraten.
    Damit aber nicht genug: mit der zunehmenden Digitalisierung, dem Fachkräftemangel, der Globalisierung und dem Wertewandel (Stichwort Generationenmanagement) stehen Unternehmen vor der Herausforderung, ihre inneren Strukturen und Kommunikationsprozesse massiv hinterfragen zu müssen. Denn wenn ich als Unternehmer bestimmte rare Zielgruppen für meinen Geschäftszweck an Bord holen und auch an Bord halten will, komme ich schon heute und in Zukunft zunehmend weniger mit althergebrachtem hierarchisch-militärischem Denken weiter. Kommunikations- und Entscheidungsprozesse werden mittelfristig immer demokratischer stattfinden, das ist meiner Meinung. Und vor diesem Hintergrund haben ArbeitnehmerInnen – gerade wenn sie gut und in notwendigen Bereichen (Beispiel MINT) qualifiziert sind mehr Macht als noch vor wenigen Jahren. Für Unternehmen ist die Bewältigung dieser Herausforderungen eine der zentralen Aufgaben in den nächsten Jahren. Dass sich Unternehmenskulturen nicht von heute auf morgen ändern, sondern solche Änderungsprozesse eher mittel- bis langfristiger Natur sind, liegt auf der Hand. Ich habe allerdings den Eindruck, dass in vielen Unternehmen diese Prozesse schon voll  im Gange sind.

Egal, ob Du als LeserIn nun denkst „Alles Quatsch“ oder Dich mit meinen Thesen identifizieren kannst: ich bin an Deiner Meinung interessiert!

 

Gero Hesse

Ich bin Gero Hesse, Macher, Berater und Blogger in den Themenfeldern Employer Branding, Personalmarketing, Recruiting, Social Media und New Work. Mehr Infos über Gero Hesse.

5 Gedanken zu „Digitales Arbeiten: Fluch oder Segen? – 5 Thesen

  • 18. April 2013 um 21:19
    Permalink

    Hi Gero,
    Stimme dir voll zu. Die Technik ist hilfreich, entspannend und unerlässlich. Selbstdisziplin und auch klare Kommunikation mit Mitarbeitern ist wichtig.
    Ich wünsche dir weiter alles Gute!
    Thomas

    Antwort
  • 15. April 2013 um 16:56
    Permalink

    Hallo Gero,
    ein sehr lesenswerter Artikel!
    Ich persönlich finde insbesondere Punkt 3 entscheidend! Neben allen Vorteilen der Digitalisierung kommt es in meinen Augen vorrangig darauf an, den eigenen Tagesablauf klar zu strukturieren und entsprechende Prioritäten zu setzen. Familie, Freunde und Job benötigen ihren eigenen Freiraum und eine entsprechende Abgrenzung. Ich glaube, wenn sich Beruf und Privates zu sehr vermischen, bleibt kein Freiraum mehr um über das eine oder das andere nachzudenken, was in meinen Augen eine bedeutende Grundlage für die eigene Entwicklung darstellt.
    VG Markus

    Antwort
  • 15. April 2013 um 15:30
    Permalink

    Danke für den spannenden Artikel. Ich teile die 5 Thesen weitgehend. Insbesondere die 5. zum Thema Herausforderungen an Arbeitgeber und Unternehmenskultur finde ich zentral – ich bin der Meinung, dass dieser Punkt in vielen gängigen Diskussionen (zu) wenig thematisiert wird.

    Antwort

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