Das semantische Job Web – Utopie oder Realität?

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Das semantische Job Web – Utopie oder Realität?

Ein spannendes Thema, welches mir da aus der Schweiz angetragen wurde (mal wieder! Da passiert anscheinend gerade ganz schön viel!): das „semantische Job Web“. Hiermit beschäftigt sich die Schweizer x28 AG, eine auf semantische Arbeitsmarktlösungen spezialisierte Unternehmung mit 12 Mitarbeitenden. Aha. Was das auf deutsch heisst, wird hier näher erklärt: Unter Arbeitsmarktlösungen sind webbasierte Tools und Services zu verstehen, die Angebot und Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt schneller und besser zusammenbringen. Semantisch bedeutet, dass die Such- und Matching-Qualität dank einer immanenten „Intelligenz“ erheblich besser sind als bei konventionellen Internet-Produkten. Die Kernkompetenzen und Leistungen der x28 AG sind

  1. Arbeitsmarkt-Ontologie
  2. Spidering, Extraktion und Matching von Vakanzen und CVs bzw. Profilen
  3. Tools & Services (u.a. www.jobagent.ch).

welche für Jobbörsen, Personaldienstleister, Arbeitsämter, Stellensuchende und Arbeitgeber umgesetzt werden. Ich hatte Gelegenheit, diverse Fragen dazu mit Cornel Müller, Leiter Marketing und Business Development der x28 AG, zu klären. Rock’n Roll:

saatkorn.: Bevor wir zum eigentlichen Thema kommen: erklären Sie den saatkorn. LeserInnen doch bitte, was Ihr Unternehmensname x28 AG bedeutet!
Gerne erläutere ich kurz den Firmennamen x28 AG: Das „x“ steht für den Markt. „28“ ist ein sog. vollkommene Zahl. Zusammen ergibt sich der vollkommene Markt. Und unsere Vision ist es, den Arbeitsmarkt möglichst transparent zu gestalten, so dass sich Arbeitgeber und Arbeitnehmende möglichst einfach und schnell finden.

saatkorn.: Was versteht man unter Semantic Web?
Cornel Müller, x28 AGBeim Semantic Web geht es um die Bedeutung von Daten beziehungsweise die maschinenverarbeitbare Beschrei­bung des Wissens. Die Idee des Semantic Webs, oft auch Web 3.0 genannt und nicht zu verwechseln mit dem 2.0, also dem Social Web, ist es also, die Daten auf einer Webseite so mit Metadaten zu unterlegen, dass deren Bedeutungen auch für Maschi­nen „verstanden“ werden. Wer nach einer CEO-Vakanz sucht, möchte auch „Geschäftsführer“, „Direktor“, General Manager“, „Vorstandsvorsitzender“, „Unternehmensleiter“ sowie weitere ca. 80 Synonyme finden, aber nicht den „CEO-Assistenten“ – welcher bei konventionellen Suchmaschinen mit der Volltextsuche aber eben gefunden wird!

saatkorn.: Wie funktioniert das?
Das semantische Verständnis der Wörter wird durch umfangreiche Regel­werke abgebildet. Dadurch sind Zusammenhänge exakt formulierbar, Worte werden „verstanden“, d.h. maschinenverarbeitbar. Dies bedingt allerdings einen sprach- und kulturabhängigen, aufwendigen Aufbau einer Ontologie, also eines umfassenden Wissensmodelles von Daten, Regeln und Relationen. Hierin steckt eine sog. kollektive Intelligenz und damit ein enormes Expertenwissen.

saatkorn.: Was sind die Nutzenpotentiale für Recruiter und Stellensuchende?
Da gibt es eine ganze Reihe:

  • Signifikant verbesserte Such- und Matchingresultate, indem zum Beispiel Synonyme und verwandte Begriffe ebenfalls gefunden werden, Antonyme aber nicht angezeigt werden.
  • Signifikant vereinfachte Suchresultate, da der Anwender nicht wissen muss, was er eh nicht weiss.
  • Verbesserter Kandidatenrücklauf, da sich die Personen angesprochen fühlen, weil die Jobangebote „stimmig“ sind.
  • Besserer ROI für beide Seiten, da mit weniger Aufwand die besseren Resultate erzielt werden.

saatkorn.: Weshalb ist die Suchtrefferpräzision höher?
Semantische Technologien verbessern die Qualität der Suchresultate und zwar hinsichtlich dem sog. Recall und der sog. Precision. Dabei gibt der Recall an, wie viel Prozent aller relevanten Jobs für den Stellensuchenden respektive Profile für die Recruiter gefunden wurden. Die Precision steht dafür, wie viel Prozent der gefundenen Jobs resp. Profile relevant waren. Semantische Suchhilfen zeichnen sich dadurch aus, dass sie für einen bestimmten Recall im Vergleich eine höhere Precision besitzen.

saatkorn.: Weshalb sind die Matching-Resultate signifikant besser?
Erstens wird der User – dies gilt sowohl für den Stellensuchenden, als auch für den Recruiter – bereits bei der Suche resp. Eingabe von der impliziten Intelligenz unterstützt. Wenn der Recruiter z.B. einen Java-Entwickler sucht, werden ihm sogleich relevante Vorschläge für die Anforderungen präsentiert. Oder wenn der Stellensuchende eine Produktmanager-Stelle sucht, wird der gefragt, ob ihn auch Brandmanager-Stellen suchen – welche bezüglich Aufgaben, Anforderungen usw. sehr ähnlich sind.

Oder etwas simplifiziert formuliert: Eine qualitativ gute Matching-Engine findet möglichst alle Richtigen (Recall) und möglichst keine Falschen (Precision)!

saatkorn.: Wieso ist das “Matching” heute so relevant?
Hinsichtlich Effizienz bietet ein optimiertes Matching enorme Vorteile. Ein Beispiel dafür ist die Vorselektion.

Hinsichtlich Effektivität ist es für beide Seiten entscheidend, weil die Berufswelt kompliziert geworden ist. Neue Ausbildungen, Jobbezeichnungen oder Tätigkeiten schiessen wir Pilze aus den Boden. Wer kann die noch kennen! Mit einer semantischen Lösung ist das nicht nötig – das implizite Expertenwissen „denkt“ für den User mit.

saatkorn.: Welche Unternehmen profitieren von x28-Technologien und –Services?
Das sind durchaus verschiedene Kundengruppen:

  • Personaldienstleister, die damit wesentlich mehr Umsätze generieren, weil sie ihre Kandidaten besser und schneller mit den richtigen Unternehmen zusammenbringen.
  • Stellensuchende, weil sie auf www.jobagent.ch alle offenen Stellen in der Schweiz auf einen Klick und dank der Semantik treffergenau finden.
  • Jobbörsen, die ihre Kernkompetenz (sprich das Matching von Vakanz und CV) verbessern wollen
  • Arbeitsämter, die ihre Hauptaufgabe (sprich die Hilfe zur Selbsthilfe, dass die Arbeitslosen schneller den geeignetsten Job finden) verbessern und vereinfachen wollen
  • Arbeitgeber, die effektiv passende Bewerberinnen und Bewerber bekommen; siehe z.B. https://karriereoption.jobagent.ch/m/

saatkorn.: Welche Probleme werden auftauchen, falls die Technologie in Zukunft nicht eingesetzt wird?
Die Probleme, welche wir heute z.B. bei Google antreffen, nämlich 2 Millionen Treffer – und die Abfrage wird damit zur Suche nach der Nadel im Heuhaufen!. Mit dem klassischen Web (oder dem web 1.0) bekommen wir heute viel zu viele Resultate… und mit dem Web 2.0 wird die Treffermenge nochmals drastisch zunehmen, und die Trefferqualität damit noch mehr abnehmen.

saatkorn.: Was ist der Aufwand für die Realisierung einer solchen HR-Ontologie?
Enorm, d.h. selbst für eine Domänen-Ontologie beschränkt auf einen Kulturraum, ein Land oder eine Sprache reden wir von 10 und mehr Menschenjahren. Sich fokusieren auf eine klares Domain. Diese kollektive Intelligenz muss gesammelt, aufbereitet und aktualisiert werden. Wir haben unsere Zweifel, ob die internationalen Monster-Mitbewerber diesen Anforderungen gerecht werden können.

saatkorn.: Wer ist internationaler Benchmark?
Wir sind nach wir vor auf der Suche nach einer Best Practice-Lösung… finden keine und sind darüber stolz, einmal mehr – auch international – First Mover zu sein.

saatkorn.: Was sind aus Ihrer Sicht mittelfristig die größten Herausforderungen für das Gewinnen und Binden von Mitarbeitern?
Die Gewinner auf Seiten der Arbeitgeber und Recruiter werden diejenigen Unternehmen sein, die gar nicht erst in den Kampf um die Talente „ziehen“ müssen. Wer rechtzeitig den Paradigmawechsel vollzieht, wird mittelfristig mit den richtigen Recruitern und den besten Tools einfach und kostengünstig zu neuen und vor allem geeigneten Mitarbeitern kommen.

Lassen Sie mich kurz ausholen: Vor 15 Jahren kamen die ersten Jobbörsen und waren bald erfolgreich! Zu Recht, denn damals konnten Unternehmen schnell und viel günstiger als früher potentielle Arbeitnehmer ansprechen! – Heute ist das Internet ein anderes als es vor 15 Jahren war! Der Schritt vom Web 1.0 zum Web 2.0 entspricht einem Paradigmawechsel und hat tiefgreifende Konsequenzen für das Recruiting der Zukunft. Etwas vereinfacht formuliert habe ich als moderner Recruiter direkten Zugriff auf Millionen von Profildaten (resp. Menschen). Und umgekehrt haben Menschen einfachen Zugriff auf alle Vakanzen…

Wir gehen davon aus, dass die aktuell dominierenden Arbeitsmarkt-Infomediäre und –Produkteanbieter mit bald überholten Geschäftsmodellen unterwegs sind. So werden z.B. – was nota bene bereits in einigen Ländern stattgefunden hat – Jobbörsen von Job-Suchmaschinen eingeholt/abgelöst, oder technologielastige Bewerbermanagementsysteme durch halbautomatisierte und webbasierte Matchinglösungen ersetzt.

Folgt man diesem Gedankengang und berücksichtigt zusätzlich die Entwicklungen rund um die Sozialen Netzwerke wird ersichtlich, dass das Recruiting der Zukunft nicht mehr viel mit demjenigen der Vergangenheit zu tun hat!

saatkorn.: Herr Müller, vielen Dank für das spannende Interview – und viel Erfolg mit der x28 AG!

Für alle, die es weiter interessiert: hier ein interessanter Blogbeitrag zum selben Thema im lesenswerten Blog von Eva Zils!

Immer noch aktuell: die große saatkorn. Verlosungsaktion wegen der neuen saatkorn. facebook-Site. Zu gewinnen: „Social Media für Personalmarketing und Recruiting“-Bücher. Wie? – Steht hier.

Gero Hesse

Ich bin Gero Hesse, Macher, Berater und Blogger in den Themenfeldern Employer Branding, Personalmarketing, Recruiting, Social Media und New Work. Mehr Infos über Gero Hesse.

3 Gedanken zu „Das semantische Job Web – Utopie oder Realität?

  • 24. August 2012 um 13:44
    Permalink

    Herr Müller

    Es gibt ja bereits die Plattform Janzz.com, welche mit semantischer Suche und Web 3.0 geworben hat. Jedoch wurde daraus nie ein grosser „Renner“ und die User-Zahlen sind auf Bewerber und Unternehmensseite meiner Meinung nach sehr gering
    Es hätte sicher grosses Potential, der Prozess aus Arbeitgeber und Bewerber-Seite ist aber sehr kompliziert aufgebaut.

    An was liegt es, das die Plattform nicht zum Fliegen kam? Was ist ihre Meinung dazu?

    Beste Grüsse
    S. Rohner

    Antwort

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