New Work: eine Einschätzung der ZEIT und meine Meinung

New Work: eine Einschätzung der ZEIT und meine Meinung

Vor einigen Wochen wies mich meine sehr geschätzte Kollegin Katja auf einen großen Artikel in der ZEIT unter der Headline „Was die Arbeitswelt aus uns macht“ hin. Hatte zunächst keine Zeit 😉 mich damit auseinander zu setzen. Aber nach dem Lesen des durchaus lesenswerten Artikels blieb ich etwas ratlos zurück.

Im Grunde genommen sagt der Aufmacher mit dem schönen Bild des Hamsterrads und dem Hamster in Business-Uniform schon viel aus, die Zeit verspricht auf der Titelseite: „Bespaßen und quälen – viele chefs lieben es, ihre Leute ganz für sich einzuspannen. Aber gute Mitarbeiter brauchen etwas anderes: Abstand.“

Grafik: Aufmacher der ZEIT zum Thema Arbeitswelt

Anhand einiger Beispiele kommt die Autorin des Artikels zu der Aussage „…In deutschen Unternehmen ist ein Wettlauf entbrannt, die eigenen Mitarbeiter zu Höchstleistungen anzuspornen, sie zu motivieren, sie brennen zu lassen für ihren Job.“ – Und weiter: „Es ist eine merkwürdige neue Arbeitswelt, die da entsteht. Vorbei die Zeit, als Arbeit Arbeit und Freizeit Freizeit war. Viele Unternehmen wollen heute mehr von ihren Angestellten als je zuvor, sie erwarten vollen Einsatz, Hingebung, Opferbereitschaft und wenn möglich sogar Begeisterung.“ Und erreicht wird das im Sinne der Autorin des ZEIT Artikels entweder auf dem alten Weg, die Mitarbeiter stärker zu kontrollieren oder aber genau anders herum, mehr Freiraum zu gewähren: „Man ist als Chef eher gut zu seinen Leuten. Man schafft Erlebnisse, von denen die Mitarbeiter lange sprechen, man lebt eine gemeinsame Geschichte, geht auf in einer spaßigen Arbeitswelt.“. Hier sind wir schon recht nah an den Themenfeldern Employer Branding und Personalmarketing, denn um Freiraum und Unternehmertum geht es in vielen Kampagnen. Claims wie „More than a career“ oder „Create your own career“ oder ganz aktuell „Kein Job wie jeder andere“ zielen in eine solche Richtung.

Im Artikel wird dann anhand von Extremfällen durchaus zu Recht darauf hingewiesen, dass es problematisch sein kann, wenn man sich komplett von seiner Arbeit vereinnahmen lässt. Nur: was ist die Lösung? – Die finde ich (natürlich) auch im ZEIT Artikel nicht. Und selbstverständlich gab es auf den ZEIT Artikel auch erste Reaktionen, die sehr kritisch mit der ZEIT ins Gericht gegangen sind. Auch hier eine kleine Lese-Empfehlung, nämlich im Blog von Jannis Tsalikis „Mein Freund, die Arbeitgebermarke“. Kernaussage hier: man solle sich nicht so anstellen und die Autorin der ZEIT Artikels, Amrai Coen, könnte unter Umständen selbst zur Spezies der gefährdeten Karriere-Begeisterten gehören. Ein Statement, was sich nach Betrachtung ihres Lebenslaufes auch nicht so ganz von der Hand weisen lässt.

Grafik: Kurze Biografie von Amrai Coen im lesenswerten Gemeinschaftsblog ennaro

Aber das nur am Rande. Mich interessiert in dem Kontext eigentlich nicht die Fragestellung, was in Extremfällen passieren kann, sondern wie man als verantwortungsvoller Arbeitgeber in einer komplexer werdenden Welt (Demografie und Fachkräftemangel, Wertewandel und sich änderndes Medien-Nutzungsverhalten durch Social Media, Globalisierung…) die eigenen Mitarbeiter bestmöglich (ja: für alle, nicht nur aus Arbeitgebersicht betrachtet) motiviert und so die eigene Arbeitgeberattraktivität sowohl nach innen wie außen verbessern kann.

Schaut man sich an, welche Faktoren maßgeblich zur Identifikation mit der eigenen Arbeit respektive dem Arbeitgeber beitragen, so steht insbesondere bei Führungskräften, aber auch auf den anderen Hierachie-Ebenen in vielen Untersuchungen Freiraum an erster Stelle. Dies bestätigt sich sowohl in externen Analysen, als auch in den von embrace durchgeführten Mitarbeiterbefragungen bei unseren Kunden. Durch statistische Berechnungen können eindeutige Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge ermittelt werden. Und dabei stellt sich sehr oft heraus: der größte Treiber für Identifikation mit einem Arbeitgeber und daraus resultierender Motivation ist der persönlich erlebte Freiraum bei der Umsetzung der individuellen Arbeitsaufgaben. – Wer hat schon Lust, in der Stecknadelfabrik von Adam Smith zu arbeiten? – Selbstbestimmung, die Möglichkeit, eigene Ideen einzubringen und in einem gewissen Rahmen eigenverantwortlich zu arbeiten, spielt für die Identifikation mit der Arbeit eine sehr große Rolle. Man kann durchaus die Frage stellen, was eher krank macht: sehr wenig Entscheidungsspielraum und Freiraum zu haben oder mit der Eigenverantwortung und dem Risiko einer vielleicht übersteigerten Identifikation mit daraus resultierendem erhöhten Zeitaufwand für die eigene Arbeit zu leben.

Ein weiterer Punkt ist, dass die Arbeitsergebnisse, die Qualität der Arbeit sicherlich nicht besser werden, wenn diese von lauter Arbeitsdronen, die innerlich bereits gekündigt haben, geschaffen werden. Gerade in Deutschland benötigen wir Kreativität und Qualität, wir werden immer mehr zu einer Wissensgesellschaft. Den Unterschied im Wirtschaftsleben können wir eben nicht durch Rohstoffe oder absolute Gehaltseffizienz herstellen. Wir müssen über Qualität und Kreativität punkten. Dafür sind Identifikation und Motivation eine absolute Grundvoraussetzung.

Für mich persönlich keine Frage, was mir lieber ist. Ich bin auch fest davon überzeugt, dass die meisten Menschen Gemeinschaftserlebnisse – auch und vielleicht gerade spaßige – sehr zu schätzen wissen. Einfach mal Mensch sein hilft auch für die Arbeit selbst weiter, dass weiß jeder, der mal auf einer Klassenfahrt war. Und somit waren, sind und werden gemeinsame Weiterbildungsmaßnahmen, Abteilungsfeiern oder -fahrten Bestandteil der Personalentwicklung nahezu jeden Unternehmens in nahezu jeder Kultur. Weil es gerade so schön passt: hier ein Foto des letzten embrace Abteilungskegelns unter dem Motto „Seventies“ vor 3 Wochen, aber auch nur nebenbei. 😉

Der Einfluß des einzelnen Arbeitgebers ist in einer Welt, die immer mehr Selbstbestimmung und Individualität fordert, ohnehin begrenzt. Durch die zunehmende Verbreitung von Smart Phones, Tablets und der ständigen Informationsverfügbarkeit ist ohnehin Eigenverantwortung gefragt. Theoretisch kann ich immer und überall arbeiten – völlig egal, ob ich nun Angestellter oder Freiberufler bin. Wenn das so ist, so hilft mir das in sehr vielen Situationen, insbesondere wenn ich auch noch eine Familie habe. Zeitliche Flexibilität bedeutet aber nun mal, dass man mit normalen Arbeitszeiten zwischen 9 und 17 Uhr in der Regel nicht auskommt. Allerdings gilt natürlich zunehmend: Eigenverantwortung ist wichtig und muß gerlent und gelebt werden. Und hier sehe auch ich eine Verantwortung für Arbeitgeber. Es hilft, einfache Regeln aufzustellen, um nicht völlig von einer Arbeit die man eigentlich gern macht, vereinnahmt zu werden. Darüber hatte ich neulich schon einmal auf saatkorn. geschrieben.

In meinen Augen ist das Thema zu komplex, um zu polarisieren. Die ideale Arbeitswelt besteht für mich aus einem Job, der mir Freiraum und Verantwortung gibt und in dem ich als erwachsener Mensch selbstverantwortlich meine Bedürfnisse und die des Unternehmens in Einklang bringen kann. Aus Mitarbeiterperspektive ist dabei das Thema Führung entscheidend: Führungskräfte müssen sich mit ihrem Team dem Thema Eigenverantwortung stellen, es muß auf den Tisch. Es wäre klasse, wenn solche Ansätze und Unternehmen, die den passenden Rahmen dafür bieten, mehr in den Vordergrund gerückt würden, anstatt nur schablonenhaft die Risiken einer eigenverantwortlichen Arbeitswelt mit viel Freiraum zu kritisieren.

Liebe saatkorn. LeserInnen: was ist Eure Meinung dazu? – Lieber Freiraum und eigenverantworltliches Ausbalancieren von Arbeit und Privatleben? Oder lieber die Stecknadelfabrik von Adam Smith: 9 to 5, Dienst ist Dienst und Schnaps ist Schnaps?

Gero Hesse

Ich bin Gero Hesse, Macher, Berater und Blogger in den Themenfeldern Employer Branding, Personalmarketing, Recruiting, Social Media und New Work. Mehr Infos über Gero Hesse.

4 Gedanken zu „New Work: eine Einschätzung der ZEIT und meine Meinung

  • 29. November 2012 um 17:20
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    Hallo Gero,

    vielen Dank für diesen guten Artikel. Er war sehr differenziert. Ich habe den Artikel in der ZEIT auch gelesen und mir ging es wie Dir. Eigentlich ist mitarbeiterorientierte Führung, eine enge Bindung der Mitarbeiter ans soziale Umfeld des Unternehmens eminent wichtig. Je austauschbarer die Qualifikationen (Stichwort: Web-Entwickler dringend gesucht) werden, desto wichtiger die Bindung. Die genannten Stuss-Veranstaltungen wie Panzerfahren etc. haben bei mir aber auch Unwohlsein erzeugt. Dein Artikel hat das Ganze wieder etwas grade gerückt. Merci dafür.

    Beste Grüße
    Jürgen

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  • 29. November 2012 um 09:18
    Permalink

    Ich persönlich (als Vertreterin der Generation Y) schätze den Freiraum mir meine Zeit frei einteilen zu können. Trotzdem glaube ich, dass eine gewisse Vereinnahmung durch die Arbeit normal ist. Solange die Rahmenbedingungen stimmen und ich nicht das Gefühl habe ausgenutzt zu werden finde ich das auch in Ordnung. Fehl am Platz ist eine „Bespaßung“ der Mitarbeiter mit dem (bewussten oder unbewussten) Ziel Nähe zu schaffen, die sie über zu viel Arbeit und mangelnden Freiraum hinwegschauen lassen soll und sie ein schlechtes Gewissen haben lässt sobald sie sich gewisse Freiräume nehmen.

    Vielleicht ist es genau das, was Amrai Coen meint – das in Unternehmen oft dieser „vermeintliche Freiraum“ herrscht. Es wird einem ans Herz gelegt flexibel zu arbeiten und sich Freiräume zu schaffen, gleichzeitig wird aber doch kontrolliert, mit anderen verglichen und schräg geschaut sobald man sich diese Freiheiten nimmt.

    Für mich als Berufseinsteiger sind daher Vorbilder entscheidend. Habe ich einen Chef, der sich gewisse Freiräume schafft fällt es mir durchaus leichter das auch für mich zu tun ohne mir die Frage zu stellen ob das jetzt okay ist.

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